Immer mehr Schweizer nerven sich über Kinder

Kinderfreie Zonen sorgen für hitzige Diskussionen. Sind sie Ausdruck von einer zunehmend familienfeindlichen Haltung? Ein Experte ordnet ein. Es gibt auch in der Schweiz Hotels und Beizen, die keine Kinder erlauben. Gleichzeitig ärgern sich Eltern immer wieder über familienfeindliche Haltungen. Ein Experte glaubt, dass die Leute intoleranter gegenüber «Störungen» geworden sind.

«Adults only» (Deutsch: Nur Erwachsene) – das Schlagwort sorgt in den letzten Jahren für Schlagzeilen. Immer wieder gibt es Berichte über Hotels, Restaurants und Airlines, die keine Kinder reinlassen. Gleichzeitig ärgern sich Eltern über das familienfeindliche Verhalten ihrer Mitmenschen. Zwei Beispiele: Ein Mami, das im Flugzeug nicht stillen darf. Und eine Familie, die in einer Beiz einen Lärm-Aufschlag für ihre Kinder bezahlen muss. Hinzu kommen Berichte über Menschen, die gerne Kinder hätten, aber von ihrem Umfeld dafür kritisiert werden: Es sei egoistisch, im Zeitalter des Klimawandels ein Baby zu bekommen.

Menschen nehmen Störungen durch Kids weniger hin

Soziologe Martin Hafen von der Hochschule Luzern sagt zu Nau.ch: «In den Medien ist eine eindeutige Zunahme von Berichten über eine kinder- und familienfeindliche Haltung festzustellen.» Als Grund dafür vermutet der dreifache Vater und Grossvater einerseits Faktoren wie den Klimawandel und den Ukraine-Krieg. «Diese Bedrohungen lösen Stress aus. Das reduziert die Gelassenheit und die Bereitschaft der Menschen, ‹Störungen› im Alltag hinzunehmen.» Das schreiende Kind der Sitznachbarn im Restaurant dürfte die einen oder anderen also mehr nerven als sonst. «Ich würde aber noch weiter gehen», sagt Hafen. Ihm zufolge seien die Menschen weniger bereit, sich auf andere einzulassen – wegen der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft. «Betroffen sind insbesondere Kinder mit ihrem Lärm und ihrer Bewegungsfreude.» Corona habe diese sinkende Toleranz nochmals beschleunigt. Ähnlich sieht das Soziologe François Höpflinger von der Universität Zürich. Er spricht von einer «zunehmenden strukturellen Rücksichtslosigkeit gegenüber Kindern». Kinder machen einen immer kleineren Teil der Bevölkerung aus – «damit sinkt auch das Verständnis für sie», so Höpflinger. Das habe aber auch damit zu tun, dass Kindheit in erster Linie in geschlossenen Räumen wie Kitas stattfinde: «‹Freilaufende Kleinkinder› sind selten geworden.»

Kinderfrei liegt im Trend

Tatsächlich kommen kinderfreie Angebote heutzutage gut an: «Dass sich hier ein Trend zeigt, ist klar. Objektive Daten fehlen mir aber», sagt Konsumexperte Christian Fichter. «Es scheint, als hätten diese Anbieter mit dem Attribut ‹kinderfrei› eine Möglichkeit gefunden, sich von der Konkurrenz abzuheben. Und offenbar findet das auch ein Publikum.» Dafür gebe es auch gute Gründe: «Es gibt einfach Orte, wo sich Kinder langweilen oder wo sie stören. Und es gibt Menschen, die sich von ihnen gestört fühlen – das ist ihr gutes Recht», sagt der zweifache Vater.

Weniger Babys wegen Inflations- und Kriegs-Zukunftsängsten

In der Schweiz wurden 2022 deutlich weniger Babys geboren als im Vorjahr. Dass kinderfeindliche Haltungen der Hauptgrund dafür sind, glaubt Soziologe Hafen aber nicht. Vielmehr seien es die globalen Entwicklungen: «Die Kriege und insbesondere die ökologischen Probleme lösen Zukunftsängste aus. Das beeinflusst auch die Entscheidung, Kinder zu haben oder nicht.» Hafen kritisiert aber auch fehlende familienfreundliche Strukturen. Er erwarte vom Staat, Rahmenbedingungen bereitzustellen, damit alle eine Familie gründen können, die es wollen. «Immerhin sind die Kinder die Zukunft unserer Gesellschaft. Und die grösste Bereicherung, die man sich vorstellen kann.»

Weiterlesen - ein Beitrag von Rowena Goebel erschienen am 04.11.2023 auf www.nau.ch

Paradies-Stiftung ehrt Ellen Ringier

An einem Festakt im Zunfthaus zur Schmiden hat die Stiftung zum achten Mal ihren Preis in Höhe von 150'000 Franken verliehen. Im Zentrum stand dieses Jahr das Thema «Innovation in der Elternbildung».

In seiner Begrüssungsrede betonte der Zürcher Regierungspräsident Mario Fehr (65) die Bedeutung einer gezielten inhaltlichen Unterstützung der Eltern in ihren anspruchsvollen Erziehungsaufgaben. Mario Fehr bezeichnete eine den heutigen Bedürfnissen angepasste Elternbildung als wesentliche Grundlage für eine erfolgreiche soziale Integration der Kinder und Jugendlichen in unsere Gesellschaft.

Der diesjährige Preis ging an die Stiftung «Elternsein», die von der Juristin Ellen Ringier (71) vor 22 Jahren gegründet wurde und die seither Eltern und interessierten Erziehungsfachleuten mit lösungsorientierten und praktisch anwendbaren Antworten bei Erziehungs- und Bildungsfragen begleitet. Neben dem bekannten und erfolgreichen Elternmagazin «Fritz + Fränzi», das die Stiftung monatlich herausgibt, ist sie auch mit einem umfassenden Onlineangebot und mit regelmässigen Elternveranstaltungen präsent.

Einsatz für die Schwächeren als Lebenswerk

Gewürdigt wurde an diesem Abend aber auch das Lebenswerk der Verlegerin Ellen Ringier. Dazu Stiftungsratspräsident Urs Lauffer: «Ellen Ringier ist seit Jahrzehnten auf bewundernswerte Art in der öffentlichen Debatte präsent. Und das nicht nur mit ihrer Stiftung, welche die Elternbildung hierzulande auf ein neues Niveau gehoben hat.» Ellen Ringier setze sich mit klaren Worten, vor allem aber mit Taten für all jene in der Gesellschaft ein, die es nötig hätten: für Kinder und Jugendliche, für Minderheiten, für sozial Schwächere.

Der Einsatz von Ringier gelte aber auch der zeitgenössischen Kunst. Die Geehrte kämpfe gegen Vereinfachungen und für faire Diskussionen. Ellen Ringier habe während vieler Jahre zahlreichen Menschen Wertvolles gegeben. «Es ist an der Zeit, ihr dafür mit unserem Preis zu danken!», schloss Urs Lauffer seine Laudatio.

Weiterlesen - ein Beitrag erschienen am 03.11.2023 auf www.blick.ch

Krankes Kind: die Rechte der Eltern

Müssen Eltern am Arbeitsplatz frei nehmen oder eine Betreuung organisieren, wenn ihr Kind krank ist? «Espresso» beantwortet Fragen von Hörerinnen und Hörern.

Liegt ein Kind krank im Bett, müssen sich berufstätige Eltern gut organisieren. Rechtlich gesehen darf in diesem Fall ein Elternteil drei Tage zu Hause bleiben, bei voller Lohnzahlung. «Espresso» hat über die Rechtslage berichtet. Nach der Sendung sind weitere Fragen eingetroffen. Hier die Antworten:

«Mein Arbeitgeber verlangt jedes Mal ein Zeugnis, wenn ein Kind krank ist und ich nicht arbeiten kann. Ist das zulässig?» Ja. Das Arbeitsgesetz schreibt vor, dass Eltern ein Arztzeugnis vorlegen müssen, welches bestätigt, dass ihr Kind krank ist. Dieses Zeugnis muss der behandelnde Arzt des Kindes zuhanden des Arbeitgebers der Eltern ausstellen. Wie bei allen Arztzeugnissen darf es keinerlei Angaben zur Diagnose enthalten. Für die Kosten des Zeugnisses müssen die Eltern aufkommen.

«Gibt es finanzielle Unterstützung, wenn ein Kind länger krank ist und die Eltern eine Betreuung organisieren müssen?» Nein. Wenn ein Kind länger als 3 respektive 6 Tage krank ist, müssen die Eltern auf ihre Kosten eine Betreuung organisieren. Hilfe bieten hier die Entlastungsdienste in verschiedenen Regionen an. Erst wenn ein Kind schwer krank und es nicht absehbar ist, ob und wann es wieder gesund wird, können berufstätige Eltern einen maximal 14-wöchigen Urlaub beanspruchen. In diesem Fall haben sie statt dem Lohn Taggelder aus der Erwerbsersatzordnung (EO) zugute, 80 Prozent des versicherten Verdienstes.

«Was gilt, wenn der Elternteil, der normalerweise für die Kinderbetreuung zuständig ist, selbst krank wird. Darf dann der andere Elternteil der Arbeit fernbleiben, um die Kinder zu betreuen und muss diese Fehlzeit dann nachgearbeitet werden?» Die Rechtslage sieht folgendermassen aus: Ist ein Kind krank, darf ein Elternteil bei voller Lohnzahlung der Arbeit fernbleiben, um das Kind zu pflegen. Dieser Urlaub für die Betreuung eines kranken Kindes dauert laut Gesetz pro Ereignis maximal drei Tage. Viele Gesamtarbeitsverträge sehen aber einen Betreuungsurlaub von fünf Tagen vor. Ist das Kind länger krank, dürfen sich die Eltern abwechseln und ihre drei Tage nacheinander einziehen. Genügt auch das nicht, müssen sie Ferientage einziehen oder eine andere Betreuungslösung organisieren. Ist nun der Elternteil krank, der das Kind normalerweise betreut, so darf der andere Elternteil die drei respektive fünf Tage Betreuungsurlaub einziehen. Während dieser Zeit besteht ein Anspruch auf Lohnfortzahlung. Das bedeutet: Diese Tage müssen weder nachgearbeitet noch durch Ferien oder Überzeit kompensiert werden.

Weiterlesen - ein Beitrag von erschienen am 02.11.2023 auf www.srf.ch

Kinderlos im Alter

Das Schweizer Pflegesystem baut darauf auf, dass Kinder ihre betagten Eltern betreuen. Aber was ist mit den Kinderlosen?

Walter Schütz hätte sich Kinder gewünscht, seine Frau wollte keine. Vor fünf Jahren ist sie gestorben. Jetzt ist er 80 und alleine. «Einsam bin ich nicht», betont er. Zweimal die Woche gehe er mit Nachbars Hund Gassi und esse bei ihnen zu Mittag. Und er habe einen grossen Freundeskreis, den er aktiv pflege. «Von meinen Altersgenossen sitzen etliche daheim und warten, bis sich jemand meldet.» Er mache das anders, sagt Walter Schütz. Auf Hilfe im Alltag ist er nicht angewiesen. Er müsse keine Pillen nehmen und habe keinen Bluthochdruck. «Aber ich fahre täglich Fahrrad. 10 bis 20 Kilometer, je nach Lust und Laune.» Er wolle noch so lange selbstständig alleine wohnen, wie es geht. Aber wer kümmert sich um ihn, wenn es nicht mehr geht? «Vielleicht das Sozialamt?», fragt er zurück – und fügt hinzu: «Ich weiss es nicht.»

Problem mit kinderlosen Alten spitzt sich zu

So wie Walter Schütz geht es in der Schweiz schätzungsweise rund 150'000 Menschen. Sie sind betagt und haben keine nahen Angehörigen, die sich um sie kümmern könnten. In den nächsten Jahren werde diese Zahl deutlich steigen, sagt Carlo Knöpfel, Professor an der Hochschule für soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Einerseits wegen der demografischen Entwicklung: «Viele ältere Leute, welche heute noch nicht betreuungsbedürftig sind, sind ohne Kinder unterwegs», so Knöpfel.

Möglichst lange selbstständig sein

Walter Schütz heisst eigentlich anders. Aber er fühlte sich nicht wohl dabei, hier mit seinem richtigen Namen aufzutreten. Deshalb der Deal: Wir geben ihm ein Pseudonym, dafür erzählt er alles. «Seit einem Jahr treffe ich mich oft mit einer jungen Freundin, die noch keine 40 ist», sagt er und kann ein verlegenes Lachen nicht verkneifen. Auf Hilfe im Alltag ist er nicht angewiesen. Er müsse keine Pillen nehmen und habe keinen Bluthochdruck. «Aber ich fahre täglich Fahrrad. 10 bis 20 Kilometer, je nach Lust und Laune.» Er wolle noch so lange selbstständig alleine wohnen, wie es geht. Aber wer kümmert sich um ihn, wenn es nicht mehr geht? «Vielleicht das Sozialamt?», fragt er zurück – und fügt hinzu: «Ich weiss es nicht.»

Problem mit kinderlosen Alten spitzt sich zu

So wie Walter Schütz geht es in der Schweiz schätzungsweise rund 150'000 Menschen. Sie sind betagt und haben keine nahen Angehörigen, die sich um sie kümmern könnten. In den nächsten Jahren werde diese Zahl deutlich steigen, sagt Carlo Knöpfel, Professor an der Hochschule für soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Einerseits wegen der demografischen Entwicklung: «Viele ältere Leute, welche heute noch nicht betreuungsbedürftig sind, sind ohne Kinder unterwegs», so Knöpfel. Ohne Kinder unterwegs zu sein, kann auch bedeuten, dass die eigenen Kinder weit weg wohnen. Denn die Beziehung zwischen den Generationen verändert sich. Während es früher oft normal war, dass die Kinder in der gleichen Region wie die Eltern lebten, sind die Menschen heute viel globaler unterwegs. Sie können später ihre Eltern im Alter nicht mehr ohne Weiteres unterstützen. Auch die Vorstellungen der Pflegebedürftigen von Morgen – die Babyboomer – haben einen Einfluss. «Befragungen zeigen, dass Babyboomer tendenziell weniger Erwartungen an ihre Kinder haben, was die Betreuung im Alter angeht.»

Kinderlose Alte fallen durch die Maschen

Das Pflege- und Betreuungssystem der Schweiz baut darauf auf, dass sich Kinder um ihre betagten Eltern kümmern. Medizinische Pflege ist zwar von der Krankenkasse gedeckt – alles darüber hinaus müssen in der Regel Angehörige leisten. Dabei gehe es um ganz alltägliche Sachen, sagt Carlo Knöpfel: «Wer unterstützt mich beim Einkaufen, wer begleitet mich auf ein Amt, wer hilft mir mit den Finanzen? Wer hört mir zu, wenn es mir mal nicht so gut geht? Oder wer schaut zu meinem Hund, wenn ich ins Spital gehen muss?» Diese Art der Betreuung würden heute immer noch zum grössten Teil die nächsten Angehörigen übernehmen, so Knöpfel. «Wenn die nicht da sind, entsteht ein Loch.»

Mit Doodle die Kinderlücke füllen

Dass es plötzlich schnell gehen kann, dass man von heute auf morgen auf Unterstützung angewiesen sein kann, hat Patricia Schnyder kürzlich erfahren. Die 71-Jährige ist seit zehn Jahren verwitwet, Kinder hat sie keine. Nach einem Sturz von der Leiter konnte sie ihr Bein während neun Wochen nicht belasten, war am Anfang sogar im Rollstuhl. Patricia Schnyder musste sich eine professionelle Haushaltshilfe organisieren. Für die letzten zwei Wochen ihrer Schonfrist hat sie ihr Umfeld aktiviert. «Ich habe ein Besuchs-Doodle gemacht, so kam jeden Tag jemand vorbei.» Die Menschen aus ihrem Umfeld kamen zu Besuch, halfen beim Einkaufen, im Garten oder tranken Kaffee mit ihr. «Diese Aktion ist sehr gut angekommen. Die klare Anfrage erleichterte es vielen, mich zu unterstützen», so Patricia Schnyder. Freunde, Bekannte und Nachbarn seien für sie wichtige Kontakte – wohl auch, weil sie keine Kinder habe, sagt sie.

Studie über alte Menschen ohne Kinder

Erstmals wurde in der Schweiz untersucht, wie es älteren Menschen geht, die nicht auf familiäre Unterstützung zählen können. Carlo Knöpfel von der FHNW hat mit seinem Team 30 Betroffene aus der ganzen Schweiz befragt. Dank der Auswertung liegen nun erstmals detaillierte Einblicke in die Lebensrealität älterer Menschen ohne betreuende Angehörige vor. Die Frage nach externer Unterstützung ist häufig auch eine Frage des Geldes. «Da gibt es eine grosse Ungleichheit. Vulnerable ältere Menschen mit wenig Geld haben heute Schwierigkeiten, sich entsprechende Hilfe und Betreuung zu leisten», sagt Carlo Knöpfel von der FHNW. Ein weiterer Grund, warum ältere Menschen keine Unterstützung erhalten, ist, dass sie gar nicht über das Hilfsangebot informiert sind. Da die meisten Menschen früher oder später auf Hilfe und Betreuung angewiesen sind, müsste hier viel mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden, sagt Carlo Knöpfel. «Eine Idee wäre, dass die Wohngemeinden allen Bürgerinnen und Bürgern zum 75. Geburtstag einen Infobrief senden.»

Aktivere Sozialarbeit für Senioren

Damit möglichst viele ältere Menschen ohne familiäre Unterstützung von bestehenden Unterstützungsangeboten wissen und profitieren können, müsse in diesem Bereich auch die Sozialarbeit aktiver sein, so Knöpfel. Stichwort: aufsuchende Sozialarbeit. Etwas, das bisher eher bei Jugendlichen eingesetzt wird. Das werde künftig auch bei älteren Menschen vermehrt nötig, sagt Carlo Knöpfel. «Vulnerable ältere Menschen ohne viele Kontakte müssen irgendwie erreicht werden.» So könnten sie über bestehende Hilfs- und Betreuungsangebote, zum Beispiel von Pro Senectute oder dem Schweizerischen Roten Kreuz, informiert werden.

Die Finanzen regeln

Patricia Schnyder ist jetzt noch nicht auf Hilfe angewiesen. Schaut die 71-Jährige aber in die Zukunft, sind einige Fragen ungeklärt. «Zum Beispiel beim Thema Finanzen wäre es schön, wenn ein Sohn oder eine Tochter da wäre, die das einmal für mich übernehmen könnte.» Sie ist sich bewusst, dass sie ihr weiteres Leben wohl früher als andere regeln und organisieren muss. «Ich muss eine Institution aufsuchen oder Hilfe holen, bevor ich nicht mehr klar bin.» Bei ihrem Vater war das anders. Dieser regelte zum Beispiel seine Finanzen zu lange alleine. «Er hatte plötzlich Fünfliber und Fünfzigernoten verwechselt – und Geld verteilt. Danach haben wir Kinder seine Finanzen für ihn gemacht.»

Die ersten leisen Befürchtungen

Auch Walter Schütz weiss, dass es schnell gehen kann und man plötzlich auf grosse Hilfe angewiesen ist. Vor fünf Jahren war seine Frau wegen eines Hirntumors nach kurzer Zeit nicht mehr selbstständig. Er musste seine Frau praktisch rund um die Uhr betreuen. «Ich musste ihr das Essen eingeben, in der Nacht konnte sie ihren Stuhlgang nicht mehr kontrollieren.» Als es nicht mehr ging, kam sie ins Spital, später in ein Heim. Kurz darauf ist sie gestorben. Das alles stimmt Walter Schütz nachdenklich. «Bis in meine Wohnung hoch sind es vier Treppen. Was, wenn ich mit dem Fahrrad dermassen stürze, dass ich hier nicht mehr hochkomme?» Er überlege sich in letzter Zeit öfters, ob er sich eine kleinere, altersgerechte Wohnung suchen sollte. Doch der Gedanke, bereits jetzt etwas zu verändert, löst bei dem 80-Jährigen auch Ängste aus. «Kürzlich habe ich meine Büchergestelle ausgemessen – 96 Meter Bücher hat es in meiner Wohnung. An denen hänge ich halt schon.»

Politik ist gefordert

Walter Schütz und Patricia Schnyder haben gemeinsam, dass sie beide noch nicht auf Betreuung angewiesen sind. Falls sich das ändert, könnten sich beide externe Unterstützung leisten. Für ältere Menschen mit wenig Geld brauche es hier jedoch neue Lösungen, sagt Carlo Knöpfel von der FHNW. Auf Bundesebene ist ein Gesetzesentwurf in der Vernehmlassung, der Ergänzungsleitungen für betreutes Wohnen vorsieht. So sollen Menschen mit wenig Geld vermehrt Zugang zu solchen Angeboten erhalten. Auch auf Kantons- und Gemeindeebene gibt es Bestrebungen, hier neue Finanzierungsansätze zu finden. «Das Problem ist erkannt. Bei all diesen Vorhaben gibt es aktuell wenig Gegenwind», sagt Knöpfel. Was die Studie, aber auch unsere Beispiele von Patricia Schnyder und Walter Schütz, zeigen: Ein funktionierendes soziales Netzwerk ist von zentraler Bedeutung. Freunde und Bekannte sind für alleinstehende ältere Menschen ohne betreuende Kinder wichtig. Carlo Knöpfel warnt jedoch davor, dass es sich bei diesen sozialen Netzwerken meist um Menschen in sehr ähnlichen Lebenssituationen und ähnlichem Alter handelt. «Die Belastbarkeit eines solchen sozialen Netzes hat klare Grenzen. Es kann die Angehörigen oft nicht ersetzen. Darum braucht es auch professionelle Angebote.»

Die Ersatztochter

Der 80-jährige Walter Schütz sieht das anders. Er sei genügend vernetzt: «Ich bin unter anderem mit einem Arzt befreundet, der vier Jahre jünger ist als ich. Ich habe viele Bekannte oder eben meine junge Freundin.» Diese Freundin hat Walter Schütz im Gespräch mehrmals erwähnt. Darum die Frage: Ist das eine Freundin, oder eine Ersatztochter? Walter Schütz, wohl etwas überrascht, sagt: «Das ist eine gute Frage.» Dann folgt eine Denkpause von geschlagenen acht Sekunden. Er holt Luft: «Vielleicht beides.»

Weiterlesen - Radio SRF 3, Live-Gespräch, 26.10.2023, 

Mobbing und Stress am Arbeitsplatz

Arbeit macht immer mehr Schweizerinnen und Schweizer krank. Das geht ins Geld. Nun reagieren erste grosse Firmen und bieten spezielle Kurse an.

Was ist bloss los in der Schweizer Arbeitswelt? Arbeitnehmer sind so krank wie noch nie. 2022 fehlten sie im Schnitt über neun Tage am Arbeitsplatz. Das kostet die Wirtschaft Unsummen: Allein die Prämien für die Krankentaggelder, mit welchen Firmen die Löhne ihrer kranken Angestellten versichern, beliefen sich 2021 auf 4,6 Milliarden Franken, wie die «NZZ am Sonntag» schreibt. Besonders teuer wird es, wenn Mitarbeitende psychisch erkranken. Dann fehlen sie im Schnitt sechs bis sieben Monate im Job. Deutlich länger als bei anderen Krankheiten. Doch warum werden so viele krank? Die Probleme gehen meist auf Mobbing, Stress und Streitigkeiten bei der Arbeit zurück. «Etwas mehr als 50 Prozent aller psychischen Arbeitsunfähigkeiten werden durch Konflikte am Arbeitsplatz ausgelöst», sagt Simon Tellenbach, Leiter Firmenkunden beim Vermögenszentrum (VZ), in der «NZZ am Sonntag».

Stress nimmt zu

43 Prozent der Arbeitnehmenden fühlen sich bei der Arbeit gestresst, besagt eine andere Studie. 2016 waren es noch 38 Prozent. Ein Drittel gibt an, auch in der Freizeit zu arbeiten. Auf Dauer geht das an die Substanz. Und macht krank. Entscheidend sei, dass solche Fälle möglichst früh erkannt werden. Tellenbach empfiehlt Firmen, das Thema offen anzusprechen und Präventionsschulungen durchzuführen. Immerhin: Eine Umfrage bei grossen Schweizer Firmen zeigt, dass viele sich des Problems bewusst sind. Insbesondere im Bereich mentale Gesundheit haben sie aufgerüstet, wie es im Bericht heisst. So bietet die Post ihren Deutschschweizer Angestellten etwa eine anonyme 24/7-Betreuung an. Diese stösst auf so viel Anklang, dass der Dienst auf die weiteren Landesteile ausgeweitet wird. Auch die Swisscom will ein ähnliches Programm lancieren. Denn täglich fehlen beim Telecomanbieter drei Prozent der Angestellten krankheitsbedingt. Das geht ins Geld. Schon junge Mitarbeitende sollen für das Problem sensibilisiert werden.

Weniger Fälle, längere Dauer

Die Unternehmen glauben, dass der Höhepunkt bei den krankheitsbedingten Absenzen erreicht ist, wie die «NZZ am Sonntag» berichtet. Aber ist dem wirklich so? Zahlen der Versicherung Swica, der Marktführerin im Bereich Krankentaggelder, lassen allerdings daran zweifeln. Bei ihr stiegen die Leistungszahlen dieses Jahr gegenüber 2022 um vier bis fünf Prozent. Die Zahl der Fälle habe abgenommen. Aber vor allem Langzeitabsenzen würden zunehmen. (pbe)

Weiterlesen - ein Beitrag erschienen am 29.10.2023 auf www.blick.ch

 

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