Flexible Arbeitszeiten: ein Gewinn für alle

Die Einführung flexibler Arbeitszeiten und Angebote von Teilzeitarbeit haben vielfältige positive Effekte: für das Unternehmen, für die Mitarbeitenden, für die Gesellschaft. Globalisierung, Digitalisierung, Corona: Unsere Lebens- und Arbeitssituationen sind in Bewegung. Gefragt sind heute agiles Handeln, schnelles Reagieren, flexibles Engagement — und zwar von Unternehmerinnen und Unternehmern genauso wie von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Eine Möglichkeit, sich an die rasanten Veränderungen anzupassen, bieten flexible Arbeitszeiten.

Das Konzept der flexiblen Arbeitszeiten beinhaltet ein breites Spektrum an Modellen: im Sommer mehr und im Winter weniger arbeiten (Jahresarbeitszeitkonto), den Arbeitsbeginn und das Arbeitsende in einem gewissen Rahmen selbst bestimmen (Gleitzeit), innerhalb der Arbeitsgruppe die Arbeitszeiten und Einsatzorte bestimmen (Funktionszeit). Dazu kommt, dass diese Arbeitszeitmodelle sich sowohl im Vollzeitals auch im Teilzeitpensum realisieren lassen. Teilzeitarbeit kann bedeuten, nur an bestimmten Wochentagen eine reduzierte Stundenanzahl pro Werktag oder jede zweite Woche zu arbeiten. Teilzeitarbeit kann auch bedeuten, sich von Mitte Dezember bis Ende Februar anderen Aufgaben zu widmen. Wie vielfältig die Möglichkeiten sind, zeigt die Broschüre «Flexible Arbeitszeiten – Vereinbarkeit Familie und Beruf im GaLaBau» des deutschen Bundesverbandes Garten-, Landschafts-und Sportplatzbau e. V. Flexible Arbeitszeiten, die zu den betrieblichen Abläufen passen und den Bedürfnissen der Mitarbeitenden entsprechen, ermöglichen Beweglichkeit in dieser dynamischen Zeit. Ulrike Hellert, Wirtschaftswissenschaftlerin, Arbeitspsychologin und Professorin an der FOM Hochschule in Nürnberg (D), bringt es mit deutlichen Worten auf den Punkt: «Feste Arbeitszeiten sind heute nicht mehr zeitgemäss.»

Vorteile für Mitarbeitende

Die Vorteile flexibler Arbeitszeiten für die Mitarbeitenden sind vielfältig. Durch Teilzeitarbeit können sich beide Elternteile an der Erziehung und Betreuung der Kinder beteiligen. Davon profitieren nicht nur die Kinder und die Eltern, sondern die ganze Gesellschaft. Flexible Arbeitszeiten ermöglichen auch die Pflege kranker und alter Menschen – in Anbetracht des demografischen Wandels mit zunehmender Lebenserwartung ein wichtiges Argument. Älteren, noch beschäftigten Personen hilft Teilzeitarbeit, die körperliche Belastung zu reduzieren. Flexible Arbeitszeiten erleichtern Aus- und Weiterbildungen. Sei es eine Weiterbildung in der Grünen Branche, beispielsweise zum Techniker, der Besuch von Kursen, zum Beispiel über Schwimmteichbau, oder die Ausbildung in einem anderen Beruf. Ein Teilzeitpensum kann es Mitarbeitenden zudem ermöglichen, ein zweites, finanziell einträgliches Standbein aufzubauen. Durch flexible Arbeitszeiten wird zudem soziales Engagement unterstützt, egal ob im Sportverein, in der Kirchgemeinde oder bei der alpinen Rettung.

Schliesslich erlauben es flexible Arbeitszeiten, einer Passion oder einem Hobby intensiv nachzugehen. Ob es das Segeln ist oder das Skifahren, ob es die Musik ist oder die Literatur: Wer sich Zeit für das nehmen kann, was ihn oder sie begeistert, wird an der Arbeitsstelle motivierter und leistungsfähiger auftreten. Für Bettina Schäppi, selbstständige Naturgärtnerin in Winterthur, war schon vor der Geburt des ersten Kindes klar, dass sie nicht 100 Prozent ihrer Zeit für ihren Gartenbaubetrieb aufwenden wollte. Das Verfolgen verschiedener Interessen und das Einbringen verschiedener Fähigkeiten waren ihr immer wichtig. Ihr Vorbild war eine ehemalige Chefin, die mit einem 60-Prozent-Pensum einen kleinen Gartenbaubetrieb führte. Heute arbeitet Bettina Schäppi 60 bis 70 Stellenprozente für ihren Gartenbaubetrieb und teilt sich die Betreuung der beiden Kinder mit ihrem ebenfalls teilzeitarbeitenden Mann.

Vorteile für Unternehmen

Unternehmen profitieren von flexiblen Arbeitszeiten vor allem durch motivierte, leistungsfähige Mitarbeitende. Philippe Gnaegi, Direktor von Pro Familia Schweiz, ist sich sicher, dass Mitarbeitende mehr leisten, wenn die Arbeitszeiten ihren Bedürfnissen entsprechen. Dazu kommt, dass sich Unternehmen mit flexiblen Arbeitszeiten als attraktive Arbeitgeber positionieren. Ulrike Hellert betont, dass das Angebot flexibler Arbeitszeiten ein entscheidender Faktor für die Attraktivität eines Arbeitgebers ist. Flexible Arbeitszeiten helfen, qualifizierte Fachkräfte zu finden und im Betrieb zu halten. Ein enormer Vorteil von flexiblen Arbeitszeiten ist, dass auf Schwankungen der Auftragslage und auf Saisonunterschiede reagiert werden kann. Angestellte mit Teilzeitpensum helfen ausserdem, kurzfristige Arbeitsspitzen abzufangen. Für Andy Keel, Gründer des Portals teilzeitkarriere.ch und Inhaber der Betonmanufaktur «dade design» (Altstätten SG), ist dieser Faktor entscheidend: «In unserem Betrieb haben wir enorme Schwankungen bei der Auftragslage. Weil bei uns fast alle Beschäftigten im Teilzeitpensum arbeiten, kommen sie zielgerichtet dann zum Einsatz, wenn es die Auftragslage erfordert.» Durch flexible Arbeitszeiten lassen sich darüber hinaus die Betriebszeiten, sprich die Zeiten der Erreichbarkeit für Kunden, ausweiten. Vielen berufstätigen Kundinnen und Kunden dürfte es entgegenkommen, wenn sie an Werktagen bis 19 Uhr und am Samstagvormittag Absprachen mit ihrem Gärtner oder ihrer Gärtnerei treffen können. Sowohl Ulrike Hellert als auch Andy Keel betonen, dass flexible Arbeitszeitmodelle helfen, unproduktive Zeiten zu reduzieren. Nach Andy Keel sind die betriebswirtschaftlichen Verluste riesig, wenn die Leute langsam arbeiten oder zwischen Baustelle und Betriebshof spazieren fahren, um die Zeit bis zum Feierabend zu füllen. Deutlich sinnvoller ist es, an manchen Tagen die Arbeit früher zu beenden. Das reduziert Personalkosten und den Mitarbeitenden bleibt mehr Zeit für Familienverpflichtungen und Hobbys.

Herausfordernde Einführung

Die Einführung flexibler Arbeitszeiten in einem Betrieb ist nicht einfach, in diesem Punkt sind sich Ulrike Hellert und Philippe Gnaegi einig. Nach Ulrike Hellerts Erfahrung packen viele Geschäftsführer dieses Thema ausserdem nur ungern an. Sie empfiehlt deshalb, eine externe Beratungsperson zu beauftragen. Wer es trotzdem selbst oder als Ergänzung zur Beratung versuchen möchte, der findet in Ulrike Hellerts Buch «Arbeitszeitmodelle der Zukunft — Arbeitszeiten flexibel und attraktiv gestalten » (Haufe Verlag) praxisgerechte Tipps. Wichtig sei es, den Prozess partizipativ zu gestalten. Die gemeinsame Suche nach passenden Arbeitszeitmodellen ist ein wichtiger Schritt, um das Vertrauen der Belegschaft zu stärken. In einem Workshop sollten die betriebliche Sicht, die Sicht der Mitarbeitenden und die regulatorischen Rahmenbedingungen (zum Beispiel Arbeitsgesetz oder GAV) diskutiert werden. In einer Pilotphase mit einer Dauer von höchstens sechs Monaten können dann Erfahrungen mit dem neuen Arbeitszeitmodell gesammelt werden. Um Bedürfnisse und Erwartungen der Mitarbeitenden in Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erfassen, hat Pro Familia Schweiz das Analysetool «Family Score» entwickelt. Darüber hinaus bietet Pro Familia Schweiz Beratungen für Unternehmen und die öffentliche Hand an. Philippe Gnaegi betont, dass es in keiner Weise um Kontrolle oder um Kritik geht: «Positiv und konstruktiv zeigen wir konkrete Verbesserungsmöglichkeiten auf.» Massnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und zur Einführung flexibler Arbeitszeiten werden nach Andy Keel durch unzeitgemässe Rollenbilder und durch unreflektierte Vorurteile erschwert. Dass ein gesunder Mensch, insbesondere Mann, jeden Werktag arbeiten müsse, dass der Chef als Erster kommen und als Letzer gehen müsse, dass die während der eigenen Ausbildung geltenden Arbeitszeiten auch heute gelten müssten, das sind nur einige Beispiele. Aber die heutige Zeit erfordert die Bereitschaft zu Veränderungen.

Veränderung lohnt sich

Unternehmen profitieren von flexiblen Arbeitszeiten, weil sie motivierte und leistungsfähige Mitarbeitende haben, sich als attraktive Arbeitgeber positionieren,  auf Schwankungen in der Auftragslage reagieren, Betriebszeiten ausweiten und unproduktive Arbeitsstunden reduzieren. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter profitieren, weil sie individuellen und vielfältigen Interessen und Verpflichtungen nachkommen und sich für das Wohl unserer Gesellschaft engagieren. Flexible Arbeitszeiten ermöglichen effektives Reagieren auf aktuelle Herausforderungen.

Ein Beitrag erschienen Ende Dezember im GaLaBau 24/2020: Weiterlesen

 

 

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