Ein Beitrag von Marcel Sigrist erschienen am 31.10.2020 auf www.srf.ch
Eine «ECO»-Umfrage bei Unternehmen zeigt: Die Produktivität leidet im Homeoffice nicht. Aber es ist anspruchsvoll. «Zuerst machte sich absolute Verzweiflung breit. Wir sind mit Krippe, Kindergarten, Hort und den eingespannten Grosseltern ziemlich durchgetaktet. Innerhalb weniger Stunden fielen sämtliche Optionen weg. Und ein Wochenende lang wussten wir nicht, was tun», erinnert sich Muriel Haunreiter an den Shutdown im März, als dieser ihr Familien- und Arbeitsleben komplett auf den Kopf gestellt hat. Inzwischen ist die Familie aber wieder in einem «guten Rhythmus».
Homeoffice ermöglicht konzentrierteres Arbeiten
Muriel Haunreiter arbeitet seit acht Jahren beim Versicherungskonzern Axa Schweiz. Ihr Unternehmen bietet Homeoffice schon seit mehreren Jahren an. Sie selbst nutzte es aber kaum. Das ist nun anders. «Man kann im Homeoffice extrem konzentriert arbeiten», sagt sie. Ein Vorteil: Sie hat dafür ein eigenes Arbeitszimmer. Anstrengend sei indes, wenn man den ganzen Tag lang Anrufe habe. Und die «Quick-Wins» würden fehlen, weil man sich nicht wie im Büro gegenübersitze, sagt Muriel Haunreiter.
Immer mehr Angestellte im Homeoffice
Das Wirtschaftsmagazin «ECO» hat rund 40 Unternehmen gefragt, wie viele ihrer Mitarbeiter derzeit ganz oder teilweise im Homeoffice arbeiten.
- Bei Axa Schweiz sind es derzeit 80 Prozent.
- Bei fünf weiteren angefragten Versicherungen (Bâloise, CSS, Helvetia, Mobiliar und Suva) arbeiteten zum Zeitpunkt der Umfrage mindestens 50 Prozent der Angestellten zuhause.
- Die Zürcher Kantonalbank hatte ein Drittel im Homeoffice, Postfinance 60 Prozent und Raiffeisen Schweiz fast alle Mitarbeiter.
- Von den 20 Swiss-Market-Index-Unternehmen gaben zehn an, mindestens 50 Prozent der Mitarbeiter im Homeoffice zu haben: Credit Suisse, Lonza, Nestlé, Novartis, Roche, Swiss Life, Swiss Re, Swisscom und UBS. Den höchsten Anteil haben Swisscom (70 Prozent), Novartis (75 Prozent) und UBS (80 Prozent).
Mit den steigenden Corona-Fallzahlen dürften sich diese Werte bei einigen Unternehmen noch deutlich erhöhen. Beim Krankenversicherer Helsana sind derzeit ein Drittel der Angestellten im Homeoffice. Christine Treml, Leiterin Personalentwicklung bei Helsana, erwartet, dass es bald deutlich mehr sein werden.
Produktivität stabil oder sogar höher
Auf die Produktivität habe sich Homeoffice bei Helsana bislang nicht negativ ausgewirkt. Darüber sei man positiv überrascht: «Zum Beispiel im telefonischen Kundendienst: Wir haben mehr Anrufe als beispielsweise letztes Jahr entgegennehmen können. Das heisst, wir sind produktiver geworden», sagt Christine Treml. Die meisten von «ECO» befragten Firmen machen eine ähnliche Erfahrung. Und: Die meisten Unternehmen kontrollieren die Angestellten im Homeoffice auch nicht. Christine Treml: «Wir glauben daran, dass ein Mitarbeiter seiner Verantwortung nachkommt, dass er sich organisiert, dass er seine Leistung wie bisher erbringt».
Homeoffice wird von der Ausnahme zur Regel
Axa Schweiz will Homeoffice auch nach der Pandemie weiter fördern. «Bei uns zählt der Beitrag und weniger der Ort, von wo er erbracht wird. Das heisst, wir ermöglichen auch in Zukunft Homeoffice. Aber nicht nur. Man kann bei uns auch weiter im Büro arbeiten, in einem Co-Working-Space, von unterwegs oder an einem anderen Ort», sagt Daniela Fischer, Personalchefin von Axa Schweiz. Mit der Coronakrise hat Homeoffice in der Schweiz einen Boom erfahren. Die Firmen sind und bleiben weiter gefordert. Und ebenso die Angestellten, die sich zuhause weiter organisieren müssen.
Tipps fürs Arbeiten von zuhause
«Was im Team schon immer schwierig war, wird im virtuellen Team doppelt schwierig», sagt Stephanie Schoss von der Universität St. Gallen. Sie forscht im Bereich «Behavioral Management und Entrepreneurship» und hat vor allem während des Shutdowns 350 Befragungen in virtuellen Teams durchgeführt. Online-Sitzungen sollten so klein wie möglich gehalten werden, dann seien sie effizienter. Ausserdem rät sie dazu: Angestellte müssten selbst mehr Verantwortung für sich übernehmen, und Vorgesetzte müssten Ziele viel klarer formulieren. Denn diese gingen beim virtuellen Arbeiten leicht verloren. Aus arbeitspsychologischer Sicht argumentiert Gudela Grote von der ETH ähnlich. Vorgesetzte müssten zudem Vertrauen haben in ihre Mitarbeiter. Nach ihren Untersuchungen sei das Vertrauen aber nur mässig vorhanden gewesen. Künftig müsse man sich folgende Frage stellen: «Wie schafft man den Raum für das Informelle, für die Zwischentöne?» Vorgesetzte sollten nicht nur auf Effizienz schauen. Sonst ginge vieles verloren. «Man könnte ja jedes Meeting so starten, dass man nicht sofort die Traktanden durchgeht, sondern: Jetzt machen wir ein bisschen Smalltalk. Das würde man ja sonst auch machen.»