Schlechterbehandlung von Müttern ist zulässig

Ein Beitrag von Claudia Blumer erschienen am 15.07.2020 auf www.tagesanzeiger.ch

Das Bundesgericht weist die Beschwerde einer Mutter ab: Sie hatte Betriebszulagen gefordert, wie sie beim Militärdienst gewährt werden.

Das Erwerbsersatzgesetz regelt den Lohnausfall bei Militärdienst – und seit 2005 auch bei Mutterschaft. Doch es gibt Ungleichheiten: Während Militärdienstleistende neben dem Lohnersatz von 80 Prozent auch Kinderzulagen, Betriebszulagen und bei Bedarf Betreuungszulagen bekommen, ist für Mütter nur der Lohnersatz vorgesehen. Und auch dieser kann variieren: Das Taggeld für Dienstleistende beträgt maximal 245 Franken, jenes bei Mutterschaft maximal 196 Franken.

Gegen eine dieser Ungleichheiten hat sich eine Juristin aus Zürich gewehrt. Sie hat die Betriebszulage eingefordert, mit denen selbstständig Erwerbende einen Teil ihrer Fixkosten, die sie während der Erwerbspause weiterhin haben – beispielsweise für die Geschäftsmiete oder für Mitarbeiterlöhne –, bezahlen können. Doch die Juristin wurde abgewiesen, zuerst von der Zürcher Ausgleichskasse, dann vom Zürcher Sozialversicherungsgericht und nun, mit Urteil vom 22. Juni, das am Mittwoch publiziert wurde, auch vom Bundesgericht.

Laut Bundesgericht gibt es keinen Anspruch auf Gleichbehandlung während Mutterschaft und Militärdienst. Die selbstständige Rechtsanwältin mit eigener Praxis hatte nach der Geburt ihres Kindes Anfang 2018 die Betriebszulagen beantragt, im Herbst 2019 stützte das Sozialversicherungsgericht den ablehnenden Entscheid.

Parlament wollte bei Müttern sparen, bei Soldaten nicht

Aus dem Wortlaut im Gesetz lasse sich kein Anspruch auf Gleichbehandlung ableiten, heisst es im Bundesgerichtsurteil. Im Gegenteil: Es entspreche dem Willen des Gesetzgebers, bei Mutterschaft keine Betriebszulagen zu gewähren, was die Kommission damals, 2002, ausdrücklich und mit Blick auf die Kosten entschieden habe.

Zudem seien der Erwerbsausfall bei Mutterschaft und jener bei Militärdienst zwar im selben Gesetz geregelt – doch die Sachverhalte könnten dennoch unterschiedlich sein, schreibt das Gericht und argumentiert mit biologischen Gründen: Nur eine Frau könne Mutter werden und nur eine leibliche Mutter die Erwerbsersatzentschädigung erhalten. Männer seien deswegen noch nicht diskriminiert. Umgekehrt sei es zulässig, dass Müttern eine Betriebszulage vorenthalten bleibe, die Militärdienstleistende bekommen. Über die teilweise anderslautende Lehre setzt sich das Bundesgericht ausdrücklich hinweg.

Anwältin Fanny de Weck, welche die Mutter in dem Prozess vertritt, ist enttäuscht von dem Entscheid. «Das Gericht hätte eine Diskriminierung selbstständiger Mütter beseitigen können, hat es aber nicht gemacht.» Leider drücke sich das Bundesgericht in Grundrechtsfragen regelmässig und nehme sich aus der Verantwortung mit dem Verweis auf die Politik. «Es geht hier aber nicht nur um eine politische Frage, sondern es ist aus unserer Sicht klar verfassungswidrig und verstösst auch gegen die Menschenrechtskonvention, dass Mütter und Militärdienstleistende nicht dieselben Ansprüche haben. Der Gesetzgeber wollte bei Müttern sparen, nicht aber bei selbstständigen Dienstleistenden.» Ihre Klientin behalte sich deshalb den Weiterzug an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg vor, sagt de Weck.

Bundesrat ist am Zug

Tatsächlich hat das Bundesgericht die Beschwerde nicht nur abgeschmettert, sondern fordert die Politik fast schon dazu auf, zu handeln. Im Urteil verweist das Gericht auf zwei zu diesem Thema hängige Motionen von Nationalrätin Min Li Marti und der ehemaligen Ständerätin Liliane Maury Pasquier (beide SP), Letztere wurde übernommen von Elisabeth Baume-Schneider. Die Motionen verlangen eine Anpassung des Erwerbsersatzgesetzes und die Aufnahme der Betriebszulage für Mütter. Das Bundesgericht hat der Frage zudem offensichtlich eine grosse Bedeutung beigemessen, indem es per Fünfer- statt Dreiergremium entschieden und eine Medienmitteilung dazu publiziert hat. Urteil: 9C_737/2019

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