Chefs bestrafen jene, die Feierabend ernst nehmen

Obwohl Firmen Erholung propagieren, benachteiligen viele Vorgesetzte jene, die nach Feierabend wirklich abschalten. Eine Studie zeigt, dass Mitarbeiter, die ihre Work-Life-Balance wahren, oft benachteiligt werden. Chefs bewerten solche Mitarbeiter als weniger engagiert, selbst wenn sie produktiver sind. Die Studie kritisiert, dass ständige Erreichbarkeit fälschlicherweise mit Engagement gleichgesetzt wird. Führungskräfte sollten ihre Bewertungskriterien überdenken, um Burnout zu vermeiden.

Eine ausgewogene Work-Life-Balance fördert die Gesundheit und steigert das persönliche Wohlbefinden. Zahlreiche Unternehmen setzen darum zunehmend auf Gesundheitsprogramme, um die Produktivität ihrer Angestellten zu fördern, Fluktuation zu senken und die Zufriedenheit zu steigern. Eine neue Studie, die in der Fachzeitschrift «Organizational Behavior and Human Decision Processes» veröffentlicht wurde, zeigt jedoch einen verborgenen Widerspruch: Obwohl Arbeitgeber ihren Mitarbeitern Erholung nahelegen, benachteiligen sie insgeheim oft jene, die sich tatsächlich abgrenzen.

So wurde die Studie durchgeführt

In 16 Studien mit 7800 Teilnehmern gingen die Forscherinnen Eva Buechel von der Universität Hongkong und Elisa Solinas von der Wirtschaftshochschule IE in Spanien einer einfachen Frage nach: Wie werden Mitarbeiter wahrgenommen, die versuchen, ausserhalb der Arbeitszeit von der Arbeit abzuschalten? Die Forscherinnen präsentierten Managern Profile von Mitarbeitenden, die zwar qualitativ identisch waren (z. B. anhand der jährlichen Beurteilungen der letzten Jahre), sich aber in der Anwendung einer ausgewogenen Work-Life-Balance unterschieden. So etwa hinterliess ein Mitarbeiter während eines Wochenendausflugs eine Abwesenheitsnotiz, der andere hingegen nicht.

Die Reaktion der Befragten

Manager berichteten übereinstimmend, dass Mitarbeiter, die über das Wochenende von der Arbeit abgeschaltet hatten, nach ihrer Rückkehr erholter und produktiver waren und erkannten somit die positiven Auswirkungen einer ausgewogenen Work-Life-Balance auf die Mitarbeiterleistung. Sie bestraften jedoch denselben Mitarbeiter in Beurteilungen und stuften ihn durchweg als weniger engagiert und weniger beförderungswürdig ein als seine Kollegen. Die Chefs hielten an ihrer Entscheidung, selbst wenn der sich abgrenzende Mitarbeiter seine Arbeit objektiv besser erledigte, keiner der beiden Mitarbeiter während seiner Freizeit tatsächlich arbeitete und der Grund für die Abgrenzung tugendhaft war (z. B. die Pflege eines kranken Familienmitglieds).

Resultate der Studie

Die Reaktion war bei Managern, die angaben, Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance zu legen, genauso stark ausgeprägt wie bei denen, die dies nicht taten.Selbst Manager, die antworteten, in ihren Organisationen ausdrücklich Abgrenzung gefördert zu haben, bestraften in der Studie abgrenzende Mitarbeiter. Die Forscherinnen ziehen daraus ihre erste Schlussfolgerung: «Das ist nicht nur unfair, sondern auch ein Garant für eine Burnout-Kultur.» Das Problem liegt in der Wahrnehmung der Führungskräfte zum Einsatz und Engagement ihrer Angestellten. Menschen würden Sichtbarkeit und Reaktionsbereitschaft als Indikator für Engagement bewerten, heisst es in der Studie. Mitarbeiter, die spätabends Mails beantworten oder auf Ferien verzichten, gelten als besonders engagiert. Diese Denkweise ignoriere jahrelange, unterstützende Forschung, die zeigt, dass Menschen, die sich von der Arbeit lösen, energiegeladener, produktiver und weniger anfällig für Burnout sind, berichtet das Portal «Harvard Business Review».

Mögliche Lösungen

Führungskräfte sollten sich fragen, wen sie belohnen. Sind die bestbewerteten Mitarbeiter diejenigen, die am «verfügbarsten» wirken, oder diejenigen, die tatsächlich die beste Arbeit leisten? Für ein neues Bewertungssystem sollte ständige Erreichbarkeit nicht mit Engagement gleichgesetzt werden. Chefs sollten ihre Mitarbeiter ausserhalb der Arbeitszeiten nicht kontaktieren. Zusätzlich müssen Unternehmen Richtlinien implementieren, die eine gesunde Work-Life-Balance fördern. Unter anderem sollten Führungskräfte darauf geschult werden, Vorurteile zu erkennen, um nicht diejenigen zu bestrafen, die abschalten.

Weiterlesen - ein Beitrag von Karin Leuthold erschienen am 18.05.2025 auf 20min.ch