Der Mann, der sich seiner Karriere widmet, die Frau am Herd und beim Kind: Das ist längst Schnee von gestern, denken viele. Aber die Realität sieht anders aus. Völlig unbewusst kultivieren wir die alten Rollenbilder bis heute – mit einschneidenden Folgen.
Für die meisten Männer ist es etwa heute noch schwierig, sich verletzlich oder schwach zu zeigen. Das zeigt das Beispiel von Marc-André Beck. Er ist Manager, FDP-Politiker und Vater zweier Buben. Als er sich von seiner Partnerin trennte, ging es ihm eine Zeit lang schlecht; er hatte dunkle Gedanken. «Aber der Mann ist heute immer noch der einsame Wolf», sagt Beck. Verständnis von Aussenstehenden habe er wenig bekommen.
Das bestätigt auch der Rapper Stress. Er hat kürzlich öffentlich gemacht, dass er an Depressionen leidet. «Für Männer ist so etwas noch viel schwieriger», sagt Stress. «Wenn wir auf der Bühne sind und ich ‹Petite pensée› singe, dann drehe ich mich zum Schlagzeuger um und weine. Er musste lernen, das zu akzeptieren. Genau darum geht es: Dass wir auch unter Männern uns selber sein können.»
Wenn das Rollenbild krank macht
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) trägt das Rollenbild des Starken, des Beschützers, des Ernährers massgebend dazu bei, dass Männer öfter an diversen Krankheiten sterben als Frauen. Das zeigt sich auch in den offiziellen Schweizer Statistiken: Männer sterben öfter an verschiedenen Herzkrankheiten, an Krebs, an Unfällen, durch Gewalt oder durch Suizid.
Der Männerarzt Alfred Schweizer hat eine Praxis im thurgauischen Weinfelden. Er beobachtet bei seinen Patienten, dass sie Gesundheitsthemen meiden, solange es nur geht – manchmal ist es dann zu spät. Häufig sind es die Partnerinnen, die Ehefrauen oder Freundinnen, die einen Termin in der Praxis vereinbaren. «Das ist auch gesellschaftlich tradiert», erklärt Schweizer.
Die Ernährer-Rolle und ihre einschneidenden Folgen
Nicht nur im Gesundheitsbereich wirken vermeintlich alte Rollenbilder nach – auch in der Familienorganisation. Väter mit Teilzeitstelle sind in der Schweiz weiterhin absolute Exoten. Sechs Prozent der Männer arbeiten nicht Vollzeit, um sich auch den Kindern zu widmen. Was das bei einer Trennung von der Mutter der Kinder bedeutet, ist manchen Vätern nicht bewusst.
«Viele Väter realisieren erst mit der anstehenden Scheidung, was sie verlieren könnten», sagt der Familienanwalt Heinz Heller. Die Gerichte versuchten meist, die bisherigen Verhältnisse aufrechtzuerhalten – mit dem Resultat, dass die Mutter als Bezugsperson präsent bleibe, der Vater jedoch in eine Wochenend-Rolle hineingerate.
«Die Rolle der Mutter wird in der Schweiz im Zweifelsfall höher gewichtet als die des Vaters», sagt Heller. «Die klassische Rollenteilung ist zu einem guten Teil die Ursache hierfür». In hochstrittigen Fällen könnten Väter den Kontakt zu ihren Kindern gar ganz verlieren, weil es keine Möglichkeit gebe, das väterliche Besuchsrecht gegen den Willen der Mutter zu erzwingen.
Die «Geschlechterfalle» ist auch eine «Teilzeitfalle»
Auch Frauen haben Nachteile, die sich aus Rollenbildern ergeben, die vielerorts als längst überwunden gelten. «Auch wenn ich es im Moment gar nicht anders haben möchte: Wirklich mit meinem Mann gleichgestellt bin ich nicht», sagt Catherine Heuberger-Golta. Sie ist die Ehefrau des Stadtzürcher SP-Regierungsmitglieds Raphael Golta.
Vor der Geburt der beiden Kinder sei eine egalitäre Rollenteilung geplant gewesen, erinnert sich Heuberger-Golta. Doch dann habe sich für ihren Mann die Chance ergeben, die Politik zum Beruf zu machen und sein Amt erlaube keine Teilzeitarbeit. So ist die studierte Juristin, die Teilzeit als Gerichtsschreiberin arbeitet, nun für Haushalt und Kinder hauptverantwortlich, auch wenn sie ihrem Ehemann attestiert, dass er sich sehr engagiere.
Das Ehepaar Heuberger-Golta ist ein klassischer Fall. Das Modell «Mutter 40 Prozent, Vater 100 Prozent» ist in der Schweiz nach wie vor der Regelfall. Im Gegensatz zu Männern arbeiten in der Schweiz sehr viele Frauen Teilzeit – bei den Müttern mit kleinen Kindern sind es 80 Prozent. Dass sie damit Pensionskassengelder einbüssen, wissen laut Vorsorgespezialistin Romina Mutter zwar viele Frauen. Aber wie viel es ist, müsse man erst mal ausrechnen.
Das Rentenloch klafft vor allem bei den Frauen
Je nach Lohn, Beruf und Pensum kann das Rentenloch mehrere hundert Franken im Monat betragen. So ist es kein Wunder, dass Frauen öfter Ergänzungsleistungen beziehen müssen als Männer. Natürlich ist es das den meisten Müttern wert, immerhin ist das Grossziehen von Kindern eine wunderbare und wichtige Aufgabe. Nur haben die Väter dann eben kein Rentenloch.
«Verheiratete Mütter sind bis zu einem gewissen Grad in der Altersvorsorge ihrer Ehemänner abgesichert», sagt Romina Mutter. Komme es jedoch zur Trennung, bekomme die Frau nach einer Berufspause manchmal keinen gut bezahlten Arbeitsplatz mehr, sodass sie ab diesem Zeitpunkt nicht mehr für eine gute Vorsorge schauen könne. Besonders gefährdet seien aber unverheiratete Mütter. Nach einer Trennung stehe ihnen kein einziger Franken aus den Vorsorgegeldern des Vaters zu.
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