So wirkt sich die Erschöpfung der Eltern auf die Kinder aus

Wenn Eltern durch Erschöpfung an ihre Grenzen stossen, spüren Kinder das. Das kann wiederum schwerwiegende Auswirkungen auf deren Entwicklung haben. Ein Gespräch mit Alessandra Weber, Geschäftsleiterin des Instituts Kinderseele Schweiz. Immer mehr Eltern fühlen sich ausgebrannt und überfordert – ein Phänomen, das als Eltern-Burn-out bekannt ist.Wenn Mama und Papa durch Erschöpfung ihre Grenzen erreichen, spüren Kinder dies und es kann zu Schuldgefühlen und Unsicherheiten führen. Offene Gespräche und das Enttabuisieren psychischer Erkrankungen seien entscheidend, um sowohl Eltern als auch Kinder zu unterstützen, sagt Alessandra Weber, Geschäftsleiterin der Beratungsstelle «Kinderseele».

Frau Weber, wie beeinflusst ein Eltern-Burn-out das emotionale und psychische Wohlbefinden der Kinder?
Eltern tragen eine grosse Verantwortung und müssen trotz ihrer psychischen Belastungen weiterhin für ihre Familie und Kinder da sein. Das kann dazu führen, dass sie in ihrer Elternrolle an ihre Grenzen stossen. Kinder nehmen sehr schnell wahr, wenn die Energie der Eltern nachlässt und sie nicht mehr in der Lage sind, vollständig auf ihre Bedürfnisse einzugehen – selbst wenn die Betroffenen versuchen, ihre Erschöpfung zu verbergen. Diese Unsicherheit kann zu Schuldgefühlen führen. Die Kinder fragen sich, ob sie etwas falsch gemacht haben und ob sie die Ursache für das schlechte Befinden ihrer Eltern sind. Das ist eine schwere Bürde und kann sich negativ auf ihre Entwicklung auswirken.

Inwiefern zeigt sich das in der Entwicklung?
Ein Eltern-Burn-out kann sich auf verschiedene Weise auf Kinder auswirken. Manche zeigen eine nachlassende schulische Leistung, weil sie sich weniger konzentrieren können. Andere Kinder reagieren, indem sie sich besonders anstrengen und zum Beispiel gute Noten erzielen, um den Eltern keine Last zu sein. In extremen Fällen, wenn Eltern beispielsweise suizidale Gedanken haben, wollen Kinder, wann immer möglich, in der Nähe bleiben, um sicherzustellen, dass nichts Schlimmes passiert.

Und langfristig?
Studien zeigen, dass etwa zwei Drittel der Kinder von psychisch erkrankten Eltern im Laufe ihres Lebens selbst aufgrund des Erfahrenen gesundheitliche Probleme entwickeln. Es gibt jedoch Möglichkeiten, ihnen zu helfen: Ein wichtiger Schutzfaktor ist eine beständige Bezugsperson, die verlässlich zur Verfügung steht.

Was raten Sie den betroffenen Eltern?
Sie sollen das Thema offen ansprechen und den Kindern erklären, warum sie in bestimmten Situationen keine Energie oder Geduld haben. Gleichzeitig sollten sie die Kinder fragen, wie sie die Situation wahrnehmen und wie es ihnen geht. Diese Gespräche sollten nicht einmalig, sondern Teil einer offenen Gesprächskultur sein. Manchmal haben erkrankte Eltern nicht die Kraft, darüber zu sprechen. In solchen Fällen sollte das «gesunde Elternteil» das Gespräch übernehmen und Hilfe aus der Familie oder dem sozialen Umfeld in Anspruch nehmen. Die grösste Herausforderung besteht darin, das Thema zu enttabuisieren und Eltern zu ermutigen, offen über ihre Belastungen zu sprechen und sich Hilfe zu holen. Nur so können wir sicherstellen, dass sowohl die Erwachsenen als auch die Kinder die Unterstützung erhalten, die sie brauchen. Eltern sollten sich bewusst machen, dass sie die Verantwortung tragen, aber auch, dass es keine Schande ist, Unterstützung zu benötigen.

Was, wenn sich Eltern nicht trauen, Hilfe zu holen?
Psychische Erkrankungen sind immer noch ein grosses Tabuthema. Viele Menschen haben wenig Verständnis dafür – sie sind stigmatisiert und oft mit Scham belastet. Doch letztendlich schadet es den Kindern, wenn Probleme nicht angesprochen und entsprechend bewältigt werden können. Der grösste Liebesbeweis, den Eltern ihren Kindern machen können, ist, sich Hilfe zu holen.

Weiterlesen - ein Beitrag von Anja Zobrist erschienen am 28.08.2024 auf 20min.ch

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