Bei der Gen Z boomt Teilzeit. Dieser Trend macht auch vor Lernenden keinen Halt. Die Forderung nach einer Teilzeit-Lehre stellt Betriebe vor Herausforderungen. Laut Gesetz dürfen Lehren auch in Teilzeit absolviert werden – das ist aber die Ausnahme. Viele Betriebe und auch Experten bleiben skeptisch. Aber: Unternehmen wie Coop und Migros bieten bereits individuelle Lösungen an.
Die Generation Z bringt neue Erwartungen in die Arbeitswelt: mehr Ferien, mehr Freizeit, und das am liebsten bei gleichbleibendem Lohn. Diese Forderungen setzen nun bereits bei der tiefsten Stufe an. Schulabgängerinnen und Schulabgänger wünschen sich eine Teilzeit-Lehre. Etwa mit einem Pensum von 80 oder sogar nur 60 Prozent. Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) bestätigt die Existenz solcher Modelle auf Anfrage: «Das Berufsbildungsgesetz sieht vor, dass Teilzeit-Lehren möglich sind», sagt Tiziana Fantini vom SBFI. «Sie werden dort implementiert, wo die Kantone und Betriebe eine Nachfrage feststellen», fügt Fantini hinzu. Ob eine Teilzeit-Lehre möglich ist, hängt einerseits vom Betrieb ab. Andererseits muss auch der Kanton sein Einverständnis geben. Seit Längerem gibt es entsprechende Angebote, für Lehrlinge, die Spitzensport und Musik machen. Zudem gehen Anfragen aufgrund von Betreuungspflichten ein. Aber zum Teil auch wegen eines anderen zeitintensiven Hobbys – oder eben wegen des simplen Wunschs nach mehr Freizeit.
Kanton Bern begrüsst Teilzeit-Lehre
Barbara Gisi vom Mittelschul- und Berufsbildungsamt des Kantons Bern bestätigt, dass man dieses Bedürfnis und entsprechende Anfragen kenne. Betroffen sind vor allem Gesundheitsberufe und Berufe in der Hauswirtschaft. Die Nachfrage ist zurzeit noch gering. «Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass diese Form der Lehre (noch) nicht sehr bekannt ist», so Gisi. Grundsätzlich ermögliche die Teilzeit-Lehre Personen in speziellen Situationen einen Anschluss, «denen dies mit einer Vollzeit-Lehre nicht möglich wäre». Beim Kanton Bern findet man die Teilzeit-Lehre gut, weil die «Anforderungen unserer Gesellschaft sowie der Wirtschaft vielseitiger werden». Deshalb «sollten auch neue Wege beschritten werden».
Unternehmen finden Idee «spannend»
Grosse Unternehmen wie Coop und Migros haben bereits individuelle Lösungen gefunden. Coop bestätigt, beim Detailhändler «arbeiten einzelne Lernende mit reduzierter Arbeitszeit». Das betreffe Lehren im Detailhandel oder im kaufmännischen Bereich. Bei der Migros heisst es, die Teilzeit-Lehre werde zwar nicht offiziell beworben. «Auf konkrete Anfragen hin prüfen wir dies jedoch individuell und bieten entsprechende Teilzeitlösungen an, sofern diese sinnvoll und umsetzbar sind.» Die Post sieht Herausforderungen, bleibt aber offen für Modelle: «Wir haben mit Firmen bezüglich Teilzeit-Lehren schon Austausch gehabt», sagt Post-Sprecherin Jacqueline Bühlmann. Das Thema werde momentan aber nicht weiter verfolgt. Man stelle fest, dass die Lehrzeit für die Lernenden herausfordernd ist. Die Lehrziele seien auf die zeitliche Dauer der Lehre zugeschnitten. «In einem Teilzeitmodell würde auch Lehrzeit wegfallen, der Bildungserfolg wäre somit infrage gestellt», so Bühlmann. «Nichtsdestotrotz fänden wir eine solche Option interessant und sind für eine Implementierung einer Teilzeit-Lehre offen.» Bereits bietet der Gelbe Riese eine Sportlehre an. In diesem Modell arbeiten und lernen die Lernenden 70 Prozent, die restlichen 30 Prozent trainieren sie ihre Sportart.
Bedürfnis «dem Zeitgeist geschuldet»
Der Verband Schweizer Schreinermeister (VSSM) hat keine genaue Übersicht über die Anzahl der Anfragen. Er bestätigt jedoch gegenüber Nau.ch, dass solche Anfragen vereinzelt bei Betrieben eingehen: «Solche Forderungen sind dem Zeitgeist geschuldet.» Der VSSM überlässt die Entscheidung darüber den Betrieben, betont aber: «Ein solches Arrangement muss immer mit dem Kanton abgesprochen und von ihm freigegeben werden.» Manuela Stockmeyer von der Login Berufsbildung – verantwortlich für die Berufslehren im öffentlichen Verkehr – kritisiert die Teilzeit-Lehre: «Die Lernziele und Anforderungen einer umfassenden Ausbildung können so kaum erreicht werden.» Anfragen nach Teilzeitausbildungen gebe es – meist aber aus gesundheitlichen Gründen. Das Konzept der Vollzeit-Lehre bleibe jedoch dominierend. Nicole Meier vom Arbeitgeberverband sieht das Bedürfnis nach Teilzeit-Lehren als Randphänomen. Für eine solche Ausbildung sei im Einzelfall zu klären, ob die Lernziele in der Zeit erreichbar sind. «Ansonsten gibt es die Möglichkeit, die Lernzeit zu verlängern.»
Auch ein Experte bleibt skeptisch gegenüber Teilzeit-Lehren. Bildungsökonom Stefan Wolter von der Universität Bern warnt vor möglichen negativen Auswirkungen: «Eine Verlängerung der Ausbildungszeit könnte die Bildungsrendite der Lernenden reduzieren und den Fachkräftemangel verschärfen.» Schliesslich würde es bei einer Teilzeit-Lehre länger dauern, bis die Lernenden vom Lehrlings- in den Arbeitsmarkt wechseln. Doch er sieht auch Vorteile: «Denkbar ist, dass es bei gewissen Lernenden zu weniger Lehrabbrüchen kommen könnte. Aber das hängt auch davon ab, was diese in der Freizeit machen.» Wolter betont, dass die Entscheidung bei den Firmen liegen sollte. «Momentan könnte man erwarten, dass einige Firmen es machen würden, weil sie sich gegenüber der Konkurrenz einen Vorteil versprechen.» Der Forscher vermutet aber: «Sobald die Schülerjahrgänge wieder grösser werden und die Wirtschaft abkühlen würde, wäre die Bereitschaft für ein solches Angebot wieder kleiner.»
Weiterlesen - ein Beitrag von Riccardo Schmidlin erschienen am 16.06.24 auf nau.ch
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