Mütter auf dem Arbeitsmarkt geraten ins Stocken

Frauen holen den Rückstand, der durch die Geburt entsteht, nicht mehr auf. Warum haben die Mütter einen so flachen Karrierepfad: Liegt es an den sozialen Normen?

Weshalb verdienen Frauen weniger als Männer? Die Frage sorgt seit Jahren für heftige politische Diskussionen. Ein möglicher Grund liegt in der Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt. Doch zumindest für ledige Frauen in der Schweiz scheint dies kaum zuzutreffen: Laut einer Studie des Bundes vom letzten Jahr verdienen unverheiratete Personen beider Geschlechter praktisch gleich viel: Ab dem 54. Altersjahr kommen ledige Frauen sogar auf einen leicht höheren Lohn, wenn man diesen auf ein Vollzeitpensum hochrechnet. Das deckt sich mit der internationalen Forschung: Demnach ist in den reichen Ländern der weitaus grösste Teil der Ungleichheit bei den Einkommen auf die Mutterschaft zurückzuführen. Die Ökonomen sprechen von der Child-Penalty. Umso überraschender ist es, dass das Bundesamt für Statistik bis heute keine Daten dazu erhebt, wie gross die Einkommenseinbusse ausfällt, welche die Mütter nach der Geburt des ersten Kindes erleiden. Licht ins Dunkel bringt nun eine umfassende Untersuchung, die das Berner Forschungsbüro Bass im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen erstellt hat. Basierend auf Zehntausenden Steuerdaten haben der Ökonom Severin Bischof und sein Team über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten analysiert, wie sich die Child-Penalty entwickelt hat.

Der Aufholeffekt bleibt aus

Zunächst zeigen die Daten eine markante Verbesserung: In den achtziger Jahren erlitten die Mütter nach der Geburt einen Einkommensverlust von gegen 80 Prozent. In der jüngsten Kohorte hat sich diese Einbusse auf lediglich 53 Prozent reduziert. «Der wichtigste Grund liegt darin, dass Mütter heute viel häufiger erwerbstätig bleiben – deren Anteil hat sich auf über 80 Prozent verdoppelt», sagt Severin Bischof. Ein zweiter Trend allerdings ist negativ: Die Fortschritte der Mütter auf dem Arbeitsmarkt stagnieren. Früher liess sich ein Aufholeffekt beobachten, indem viele Frauen später wieder einen Job aufnahmen oder ihr Arbeitspensum erhöhten. Doch inzwischen findet eine solche Zunahme der Erwerbstätigkeit nicht mehr statt: Bei der jüngsten Altersgruppe hat die durchschnittliche Child-Penalty bis im fünften Jahr nach der Geburt sogar um 5 Prozent zugenommen.

Mütter holen nicht mehr auf

Wo harzt es? Zwei Erklärungen sind denkbar: Mütter haben es schwer, sich auf dem Arbeitsmarkt durchzusetzen. Oder sie haben gar nicht das Bedürfnis, sich beruflich stärker zu engagieren, und sind zufrieden mit ihrem Pensum. «Es scheint, dass sich bei uns eine Child-Penalty von 50 Prozent als Marke etabliert hat, die sich nur schwer weiter senken lässt», sagt der Zürcher Ökonomieprofessor Josef Zweimüller, der seit Jahren zu diesem Thema forscht. «Die Gründe sind für mich ein Rätsel. Denn der ausgesprochen flache Karrierepfad der Mütter in der Schweiz kontrastiert mit dem Bild, das wir in anderen Ländern sehen.»Dass das Erwerbseinkommen unmittelbar nach der Geburt stark einbricht, sei nicht aussergewöhnlich, so Zweimüller. In Deutschland oder Österreich erreicht die Child-Penalty anfänglich noch höhere Werte. Danach jedoch setzt eine starke Aufholbewegung ein, während die Mütter hierzulande an Ort treten. Selbst in Schweden, das in Sachen Gleichberechtigung als fortschrittlich gilt, erreicht der Lohnrückgang zunächst 66 Prozent. Nach zehn Jahren aber verdienen schwedische Mütter nur noch 24 Prozent weniger als kinderlose Frauen.

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Fortschritt bei der Bildung verpufft

Für den Ökonomen Zweimüller ist daher klar: «Die Schweiz verschenkt mit der mangelnden Einbindung der Mütter in den Arbeitsmarkt ein grosses Potenzial.» Dies finde aber nicht primär dann statt, wenn die Kinder noch klein sind – in dieser Phase hätten viele Länder eine grosse Child-Penalty. «Stattdessen schert die Schweiz aus, wenn die Kinder älter werden. Bei uns werden diese Ressourcen auf längere Frist zu wenig genutzt, zumal die Mütter immer besser ausgebildet sind.»Gerade von den Unternehmen wäre aufgrund des Fachkräftemangels zu erwarten, dass sie eine höhere Erwerbsbeteiligung der Mütter anstreben, erklärt Zweimüller. «Zudem müsste es für eine wirkliche Gleichstellung zur Norm werden, dass auch Väter ihr berufliches Engagement vorübergehend zurückschrauben.» Dies würde es erleichtern, dass anschliessend beide Elternteile ihr Potenzial auf dem Arbeitsmarkt ausschöpfen könnten, so der Ökonom. Doch gelte es hierzulande als selbstverständlich, dass Väter Vollzeit arbeiten. Welche Arbeitsteilung eine Familie wählt, hänge stark von den gesellschaftlichen Rollenmustern ab, und diese seien in der Schweiz eher traditionell ausgerichtet. Die Soziologieprofessorin Katja Rost von der Universität Zürich bestätigt diese Einschätzung: «Die tiefere Erwerbsbeteiligung der Mütter basiert meistens auf einer freiwilligen Entscheidung. Arbeiten dagegen beide Elternteile Vollzeit, so erfolgt dies oftmals aufgrund von ökonomischen oder politischen Zwängen, wie dies etwa in der früheren DDR der Fall war.»

Karriere oder Lebensqualität

Ausserdem sei in der Schweiz ein Wohlstandseffekt zu beobachten: Sobald das Einkommen ein gewisses Niveau erreicht habe, würden andere Werte wie die Lebensqualität wichtiger. «Wie sehr Frauen eine Karriere anstreben, ist auch von den sozialen Normen abhängig: Untersuchungen zeigen, dass in reichen Ländern dieser gesellschaftliche Einfluss gegenüber den materiellen Faktoren an Bedeutung gewinnt.» Interessante Daten dazu liefert auch das Büro Bass in seiner Studie. So wurde untersucht, für welche Rollenteilung sich jene Paare entscheiden, bei denen die Frau vor der Geburt des Kindes mehr Geld verdient als ihr Partner. Aus ökonomischer Warte wäre in einem solchen Fall zu erwarten, dass der Vater das Pensum stärker reduziert als die Mutter. Effektiv jedoch trifft dies nicht zu: Die Child-Penalty der Frauen mit dem besseren Lohn unterscheidet sich kaum von der anderen Gruppe, welche ein tieferes Einkommen erzielt. Man müsse daher vorsichtig sein mit wertenden Urteilen zur Child-Penalty, sagt die Soziologin Rost. Natürlich sei es fundamental, dass Frauen für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn bekommen. «Das bedeutet aber nicht, dass Mütter deswegen dieselben Karriereziele verfolgen wie Väter oder kinderlose Frauen.» Entscheidend sei die Wahlfreiheit: Der Begriff Child-Penalty oder «Kindesstrafe» habe wenig Sinn, wenn eine Mutter aus freien Stücken entscheide, sich primär um die Kinder zu kümmern.

Weiterlesen - ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag» vom 18.05.2024

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