Deutschland: Regelrechter Absturz der Geburtenrate – Tiefstand wie zuletzt 2009

Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung meldet einen „bemerkenswert starken und sehr plötzlichen“ Rückgang der Geburtenrate. Immer mehr Paare schieben ihren Kinderwunsch auf. Was steckt hinter der Entwicklung?
 

Es ist eine Nachricht, die selbst die erfahrenen Wissenschaftler des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) überrascht hat. Die multiplen Krisen, die Europa derzeit erschüttern, haben in den vergangenen beiden Jahren zu einem regelrechten Absturz der Geburtenrate in Deutschland geführt. Bekamen Frauen 2021 im Schnitt noch 1,57 Kinder, waren es im Herbst 2023 nur noch 1,36. Damit fiel die Geburtenrate innerhalb von nur zwei Jahren auf den niedrigsten Stand seit 2009. Ein „bemerkenswert starker und sehr plötzlicher Rückgang“, wie es in einer Studie heißt, die das BiB gemeinsam mit der Universität Stockholm vorgelegt hat.

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Quelle: Infografik WELT

Alleine ist Deutschland mit dieser Entwicklung nicht. Auch in anderen europäischen Ländern seien die Geburtenraten eingebrochen, sagt BiB-Forschungsdirektor Martin Bujard. Anders als in anderen Ländern hatte es in Deutschland zuvor aber einen Aufschwung bei den Geburtenraten gegeben. Nach vier Jahrzehnten historisch niedriger Geburtenraten von 1,2 bis 1,4 Kindern pro Frau wurden zwischen 2015 und 2021 plötzlich wieder Werte zwischen 1,5 bis 1,6 erreicht. Für Bujard eine Folge familienpolitischer Reformen wie Elterngeld und Kita-Ausbau. Aber auch die wachsende Migration spielte dabei eine Rolle – im Mittel bekämen die Zuwanderinnen der ersten Generation mehr Kinder.

Selbst die Corona-Pandemie hat daran zunächst nichts geändert. Während die Geburtenrate in Spanien um 20 Prozent einbrach, blieb sie in Deutschland stabil. Sogar einen leichten Aufwärtstrend konnten die Forscher neun Monate nach Ende des ersten Lockdowns feststellen. „Ich nenne das den Cocooning-Effekt“, sagt Bujard. „Viele Paare sind im Lockdown enger zusammengerückt und haben den Stellenwert der Familie neu schätzen gelernt.“ Dann aber, mit dem zweiten, harten Lockdown, sei dieser Effekt verpufft. Viele Paare hätten ihren Kinderwunsch auch aufgeschoben, um erst einmal die Covid-Impfung abzuwarten.

Nach einer leichten Erholung seien die Geburtenraten dann ab Herbst 2022 erneut eingebrochen. „Der Krieg in der Ukraine, die gestiegene Inflation oder auch der fortschreitende Klimawandel haben die Menschen zusätzlich verunsichert. In einer solchen Zeit multipler Krisen setzen viele ihren eigentlich vorhandenen Kinderwunsch nicht um“, sagt Bujard.

Ob diese Entwicklung von Dauer sein wird, aus dem aufgeschobenen also auch ein aufgehobener Kinderwunsch wird, vermag er noch nicht abzuschätzen. „Wichtig ist, dass Politik und Gesellschaft das positive Narrativ entwickeln, dass man Krisen auch wieder in den Griff bekommen kann, damit junge Menschen nicht den Mut verlieren“, sagt der BiB-Forscher. Für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sei in den vergangenen Jahren zwar viel getan worden. „Der Mental Load wird aber unterschätzt. Den können Kita und Schule nicht wegorganisieren – und er wird eher von den Müttern getragen als von den Vätern.“

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