Das kennt auch Pöstler D.*: «Ja klar, das geht bei uns seit Jahren so. Ohne das Einspringen würde es nicht gehen.» Eine ähnliche Erfahrung macht ein Automechaniker (28) aus dem Kanton Aargau in seinem Betrieb: «In der Firma sind wir unterbesetzt. Sobald jemand ausfällt, versinken wir im Chaos. Die, die übrig bleiben, sind diejenigen, die es ausbaden müssen.» Einige Mitarbeiter hätten in diesem Jahr über 300 Überstunden angesammelt. Das hat Folgen: «Die Arbeit wird zwar erledigt, aber teils nicht in der gewünschten Qualität. Teilweise gehen auch Dinge vergessen. Das verärgert natürlich die Kunden. Es ist ein Teufelskreis.»
Auch Kita-Leiterin S.* aus Bern macht der Fachkräftemangel schwer zu schaffen. «Wir sind dermassen unterbesetzt, dass ich die Betreuungsarbeit der Pädagogen übernehmen muss, und meine eigentlichen Führungsaufgaben vernachlässige.» Dadurch müsse sie ständig Überstunden leisten und für krankheitsbedingte Ausfälle an ihren freien Tagen einspringen. «Besonders die Kinder leiden unter dieser Situation. Wir leisten nur noch Betreuungsarbeit, für eine richtige frühkindliche Bildung haben wir nicht die nötigen Ressourcen», so S. Sie habe deshalb kürzlich gekündigt: «Durch diesen riesigen Arbeitsaufwand konnte ich kaum Zeit mit meiner Familie verbringen. Auch meine psychische Gesundheit hat sehr darunter gelitten.»
«Ich kann meine Überstunden nicht abbauen»
Im Detailhandel sei die Situation ebenfalls angespannt, berichtet eine Betroffene (33): «Uns fehlen mittlerweile vier Vollzeit-Mitarbeiter. Meine Überstunden kann ich nicht abbauen und mein Privatleben ist praktisch nicht vorhanden.» Sie habe inzwischen durch die viele Arbeit nicht nur psychische, sondern auch körperliche Beschwerden. «Ich bin ständig müde, habe Rückenschmerzen und fühle mich einfach erledigt.» Auch wenn sie ihre Teamkollegen sehr schätze und ihre Arbeit gerne mache, so könne sie langfristig nicht so weitermachen: «Ich bin auch nur ein Mensch und keine Arbeitsmaschine.»
Erkältungsbedingte Ausfälle verschärfen die Situation
Dass die Schweiz überarbeitet ist, bestätigen auch Experten. Die hohe Arbeitsbelastung in manchen Betrieben sei hauptsächlich auf den Mangel an qualifiziertem und motiviertem Personal zurückzuführen. Die aktuelle Lage mit vielen erkältungsbedingten Ausfällen verschärfe diese Situation. Den Text dazu findest du hier. Erst kürzlich wurde bekannt, dass besonders der öffentliche Verkehrsdienst mit Krankheitsausfällen kämpft und es vermehrt zu Personalengpässen kommt. Gegenüber 20 Minuten geben auch andere Unternehmen an, dass die aktuell erhöhten krankheitsbedingten Absenzen die Situation verschärfen.
«Das kann passieren, wenn kurzfristig jemand ausfällt»
Gemäss Coop-Sprecher Kevin Blättler ist die Übernahme von Aufgaben krankheitsbedingt abwesender Kolleginnen und Kollegen vorübergehend wie überall möglich: «Kurzfristige Änderungen der Arbeitseinsätze sind nicht der Normalfall und bilden eine Ausnahme. Bei kurzfristigen Einsätzen braucht es immer die Einwilligung der Mitarbeitenden.» Blättler betont: «Jeder Arbeitseinsatz muss ohne Ausnahme als Arbeitszeit erfasst werden. Die Vorgesetzten sind dazu angehalten, dass ihre Mitarbeitenden Überstunden innerhalb nützlicher Frist kompensieren können.» Auch bei der Post bestätigt man auf Anfrage, dass es derzeit zu krankheitsbedingten Absenzen kommt, weshalb vereinzelt Mitarbeitende an freien Tagen für andere einspringen müssten: «Ja, das kann passieren, wenn kurzfristig jemand ausfällt. Aber ganz wichtig: Wenn es zu einer solchen Situation kommt, rufen wir die Mitarbeitenden an und fragen sie, ob sie damit einverstanden sind, einzuspringen», erklärt Sprecherin Silvana Grellmann. Falls die Mitarbeitenden dann nein sagen, schaue man anderweitig, beispielsweise indem man in der Zustellung Touren zusammenlege. Grellmann versichert, dass die zusätzlich geleisteten Arbeitsstunden kompensiert werden können, sobald es die Arbeit wie auch die personellen Ressourcen zulassen. *Name der Redaktion bekannt
Das sagt der Arbeitgeberverband
Gemäss Daniella Lützelschwab, Leiterin Ressort Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht beim Schweizerischen Arbeitgeberverband SAV, haben viele Arbeitgeber Mühe, die Stellen zu besetzen. «Als Folge davon gibt es bereits heute Abteilungen und Teams mit einer dünnen personellen Besetzung. Wenn dann noch Arbeitnehmende aus gesundheitlichen Gründen ausfallen, spitzt sich die Lage weiter zu.» Die Arbeitgeber seien sich bewusst, wie wichtig arbeitsfähige und motivierte Mitarbeitende für den Erfolg ihres Unternehmens sind und versuchen, die Arbeitsbedingungen für ihr Personal zu optimieren. «Dazu gehören auch flexible Arbeitszeiten, welche das Verbinden von Privatem und Beruflichem erleichtern und so helfen können, Stress zu reduzieren.»
Weiterlesen - ein Beitrag von Mikko Stamm
, Monika Abdel Meseh erschienen am 28.12.2023 auf www.20min.ch