Kinderfreie Zonen sorgen für hitzige Diskussionen. Sind sie Ausdruck von einer zunehmend familienfeindlichen Haltung? Ein Experte ordnet ein. Es gibt auch in der Schweiz Hotels und Beizen, die keine Kinder erlauben. Gleichzeitig ärgern sich Eltern immer wieder über familienfeindliche Haltungen. Ein Experte glaubt, dass die Leute intoleranter gegenüber «Störungen» geworden sind.
«Adults only» (Deutsch: Nur Erwachsene) – das Schlagwort sorgt in den letzten Jahren für Schlagzeilen. Immer wieder gibt es Berichte über Hotels, Restaurants und Airlines, die keine Kinder reinlassen. Gleichzeitig ärgern sich Eltern über das familienfeindliche Verhalten ihrer Mitmenschen. Zwei Beispiele: Ein Mami, das im Flugzeug nicht stillen darf. Und eine Familie, die in einer Beiz einen Lärm-Aufschlag für ihre Kinder bezahlen muss. Hinzu kommen Berichte über Menschen, die gerne Kinder hätten, aber von ihrem Umfeld dafür kritisiert werden: Es sei egoistisch, im Zeitalter des Klimawandels ein Baby zu bekommen.
Menschen nehmen Störungen durch Kids weniger hin
Soziologe Martin Hafen von der Hochschule Luzern sagt zu Nau.ch: «In den Medien ist eine eindeutige Zunahme von Berichten über eine kinder- und familienfeindliche Haltung festzustellen.» Als Grund dafür vermutet der dreifache Vater und Grossvater einerseits Faktoren wie den Klimawandel und den Ukraine-Krieg. «Diese Bedrohungen lösen Stress aus. Das reduziert die Gelassenheit und die Bereitschaft der Menschen, ‹Störungen› im Alltag hinzunehmen.» Das schreiende Kind der Sitznachbarn im Restaurant dürfte die einen oder anderen also mehr nerven als sonst. «Ich würde aber noch weiter gehen», sagt Hafen. Ihm zufolge seien die Menschen weniger bereit, sich auf andere einzulassen – wegen der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft. «Betroffen sind insbesondere Kinder mit ihrem Lärm und ihrer Bewegungsfreude.» Corona habe diese sinkende Toleranz nochmals beschleunigt. Ähnlich sieht das Soziologe François Höpflinger von der Universität Zürich. Er spricht von einer «zunehmenden strukturellen Rücksichtslosigkeit gegenüber Kindern». Kinder machen einen immer kleineren Teil der Bevölkerung aus – «damit sinkt auch das Verständnis für sie», so Höpflinger. Das habe aber auch damit zu tun, dass Kindheit in erster Linie in geschlossenen Räumen wie Kitas stattfinde: «‹Freilaufende Kleinkinder› sind selten geworden.»
Kinderfrei liegt im Trend
Tatsächlich kommen kinderfreie Angebote heutzutage gut an: «Dass sich hier ein Trend zeigt, ist klar. Objektive Daten fehlen mir aber», sagt Konsumexperte Christian Fichter. «Es scheint, als hätten diese Anbieter mit dem Attribut ‹kinderfrei› eine Möglichkeit gefunden, sich von der Konkurrenz abzuheben. Und offenbar findet das auch ein Publikum.» Dafür gebe es auch gute Gründe: «Es gibt einfach Orte, wo sich Kinder langweilen oder wo sie stören. Und es gibt Menschen, die sich von ihnen gestört fühlen – das ist ihr gutes Recht», sagt der zweifache Vater.
Weniger Babys wegen Inflations- und Kriegs-Zukunftsängsten
In der Schweiz wurden 2022 deutlich weniger Babys geboren als im Vorjahr. Dass kinderfeindliche Haltungen der Hauptgrund dafür sind, glaubt Soziologe Hafen aber nicht. Vielmehr seien es die globalen Entwicklungen: «Die Kriege und insbesondere die ökologischen Probleme lösen Zukunftsängste aus. Das beeinflusst auch die Entscheidung, Kinder zu haben oder nicht.» Hafen kritisiert aber auch fehlende familienfreundliche Strukturen. Er erwarte vom Staat, Rahmenbedingungen bereitzustellen, damit alle eine Familie gründen können, die es wollen. «Immerhin sind die Kinder die Zukunft unserer Gesellschaft. Und die grösste Bereicherung, die man sich vorstellen kann.»
Weiterlesen - ein Beitrag von Rowena Goebel erschienen am 04.11.2023 auf www.nau.ch
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