Krankenkasse: Viele streichen Beizbesuch & suchen günstigere Wohnung

Immer mehr vom Lohn geht für die Krankenkasse flöten. Experten erklären, was der Prämienschock für Einkommensschwache und den Mittelstand bedeutet.

Nächstes Jahr zahlt man durchschnittlich im Monat 359 Franken an die Krankenkasse – ein Anstieg von 8,7 Prozent. Besonders hart trifft es den unteren Mittelstand, also Personen, die zu viel verdienen, um von Prämienverbilligungen zu profitieren.

Am stärksten steigen die Prämien mit 10,5 Prozent im Tessin, gefolgt von 10,1 in Appenzell-Ausserrhoden. Die höchsten Prämien gibt es in Basel-Stadt. Hier fällt die Erhöhung mit 6,5 Prozent jedoch kleiner aus, teuer war's schon vorher.

«Vor allem bei Familien ist die Erhöhung belastend», sagt Philipp Frei von der Budgetberatung zu Nau.ch. Sie müssen Prämien für mehrere Personen zahlen. «Hinzu kommen steigende Preise für Lebensmittel, Energie, Mieten.»

Laut der Armutshilfe Caritas beunruhigend: «Wir machen uns tatsächlich Sorgen, dass nun noch mehr Menschen von Armut betroffen sein werden.» Die Zahl steige seit 2014 an.

Experte warnt vor hoher Franchise bei Krankenkasse

Doch auch, wer Prämienverbilligungen erhält, ist nicht unbedingt fein raus: «Verbilligungen reichen zum Teil nicht. Zu den Prämienkosten kommen noch Franchise und Selbstbehalt hinzu», sagt Budgetexperte Frei.

Für Menschen mit knappem Budget sei jetzt die Verlockung gross, bei der Krankenkasse eine hohe Franchise zu wählen. «Dann muss man aber auch 2500 Franken bereit haben – das haben viele nicht.» Die Konsequenz: «Sie gehen nicht mehr zum Arzt – teilweise werden Dinge dann zu spät diagnostiziert, was dann noch mehr kostet.»

Die teure Krankenkasse wirkt sich etwa auf die Ferien aus – laut Frei müssen da heute schon viele sparen. «Die Leute können weniger auswärts essen und müssen in eine günstigere Wohnung ziehen. Das ist noch der ‹Luxus› – aber dann geht es schnell an Orte, wo es richtig wehtut.»

So müssten sich einige überlegen, ob sie ihr Kind noch in einen Verein schicken können. Oder, ob sie den Zahnarzttermin ins Wasser fallen lassen und statt frischen Teigwaren Dosen-Ravioli kaufen.

Frei habe schon traurige Szenen erlebt. «Bauarbeiter, die Tränen in den Augen haben, weil sie sich kein Geburtstagsgeschenk für das eigene Kind leisten können.»

«Traurig, wenn Paare wegen Geld keine Kinder bekommen»

«Wenn Kinder im Spiel sind, gibt es immer die schwierigsten Situationen», so der Budgetberater. Ähnlich sieht es Philippe Gnaegi, Direktor vom Familiendachverband Pro Familia Schweiz. «Dieses Problem ist für die Familien akut – die Prämien sind heute schon hoch.»

Eine Umfrage seiner Organisation hat kürzlich ergeben, dass die Krankenkassenprämien Familien von allen Themen am stärksten beschäftigen. Brisant: 53 Prozent verzichteten aus Kostengründen schon einmal auf eine medizinische Behandlung. Und das schon vor der neuesten Erhöhung.

«Besonders traurig wäre es, wenn immer mehr Paare wegen des Gelds keine Kinder bekommen. Wir haben diese Frage im nächsten Familienbarometer aufgenommen», so Gnaegi.

«Es ist ein Armutszeugnis für die Schweiz, wenn Menschen ihren Kinderwunsch nicht erfüllen können, weil Kinder zu viel kosten.»

Weiterlesen - Ein Beitrag von Rowena Goebel erschienen am 28.09.2023 auf Nau.ch

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