Eine neue Studie über Schweizer Schulen zeigt: Die Eltern wünschen sich mehr Tagesschulen. Was sagt Dagmar Rösler, die oberste Lehrerin der Schweiz, dazu? Blick hat nachgefragt. Wie sieht eine ideale Schweizer Schule aus? Die Antwort liefert das Forschungsinstitut Sotomo. Im Auftrag der Stiftung Mercator Schweiz befragten sie gut 7700 Personen ab 16 Jahren in allen Landesteilen. Im Gespräch mit Blick ordnet Dagmar Rösler, die oberste Lehrerin der Schweiz, die Resultate ein.
Blick: Was hat Sie an dieser Studie am meisten überrascht?
Dagmar Rösler: Dass das Vermitteln von Toleranz und Respekt stärker gewichtet wurde, als die Fähigkeiten zu lesen, schreiben und rechnen.
Über 70 Prozent der Befragten wünschen sich das Angebot einer Tagesschule. Damit haben Sie gerechnet?
Ja, weil die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gefragter ist den je. Aber: Es braucht mehr bezahlbare Angebote – auch in ländlichen Gebieten und Agglomerationen.
Wer ist jetzt in der Verantwortung: Schule oder Politik?
Für die Tagesstrukturen ist die Politik verantwortlich! Es ist nicht die Aufgabe der Schule, Betreuungsangebote auf die Beine zu stellen. Dagegen wehre ich mich vehement. In vielen Städten geht es mit den Tagesschulen gut vorwärts. Je ländlicher es wird, desto harziger kommt das Thema voran.
Weshalb?
Das hat mit unterschiedlichem Verständnis von Kinderbetreuung zu tun, aber vielleicht auch damit, dass man auf dem Land Kinderbetreuung oft privat organisiert.
Mehr als die Hälfte der Eltern von Kindergarten- und Primarschulkindern sind dafür, Noten abzuschaffen. Sähen Sie darin einen Vorteil?
Absolut. Ein Kind nur mit Noten zu beurteilen, ist heute nicht mehr zeitgemäss. Wenn jemand eine Fünf in Mathematik hat, ist er gut – oder? Wobei, vielleicht spickt er auch einfach überragend (lacht). Wo genau seine Stärken liegen, wissen wir aber nicht. In der Geometrie, Algebra oder im Kopfrechnen? Andere Formen der Beurteilung wären besser.
Welche?
Schriftliche Rückmeldungen oder mündliches Feedback, das dann aber auch festgehalten werden muss. Das braucht aber eine gute Kommunikation zwischen Schule und Eltern, damit diese Beurteilungen richtig eingeordnet werden können.
Jedes zehnte Kind fürchtet sich vor dem Schulbesuch. Woran liegt das?
Die Kinder und Jugendlichen haben sicherlich einen gewissen Erfolgsdruck, der aber nicht immer von der Schule kommen muss. Sicherlich herrscht auch ein gewisser natürlicher Gruppendruck. Oftmals misst man sich untereinander – zum Beispiel im Sport.
Was müssen die Schulen besser machen?
Aus der Studie kann man lesen, dass die Bevölkerung sich mehr Unterstützung in der Schule bei psychischen Problemen wünscht – und dass die Schule mehr macht bei Mobbing. Das muss man natürlich ernst nehmen und soweit möglich auf die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler eingehen. Es ist ja auch ein Ziel von Lehrerinnen und Lehrern, dass sich ihre Schülerinnen und Schüler wohlfühlen und gerne in die Schule kommen.
Die Schule soll Toleranz und Respekt vermitteln, hingegen ist den Befragten Disziplin weniger wichtig. Geht es im Klassenzimmer ohne Disziplin?
Nein. Aber vielleicht muss man zuerst sagen, was mit Disziplin gemeint ist. Die Lehrpersonen sollen eine klare Linie vorgeben. Aber es braucht keine fliegenden Schlüsselbunde mehr.
Weiterlesen - ein Beitrag erschienen am 22.06.2023 auf www.blick.ch