Die alten Rollenmuster zeigen sich (leider) in diesen 13 Punkten zur Teilzeitarbeit

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist in der Schweiz ein grosses Thema. Teilzeitarbeit kann vieles zur Lösung beitragen, doch eine neue Studie zeigt: Es ist noch ein weiter Weg zu ihrer endgültigen Akzeptanz.

Es gibt einen grossen Widerspruch, zwischen wie viel wir arbeiten und wie viel wir eigentlich arbeiten sollten. Und: Das Potenzial der Digitalisierung wird nicht erkannt und Teilzeitarbeit ist weiblich konnotiert. Das sind die Haupterkenntnisse aus der heute publizierten «Teilzeit-Studie» vom Forschungsinstitut Sotomo in Zusammenarbeit mit geschlechtergerechter Initiative (siehe Infobox), bei der zwischen dem 24. November und dem 12. Dezember 2022 über 2000 Schweizerinnen und Schweizer befragt wurden.

Arbeiten wir zu viel?

Wir beginnen mit dem grossen Widerspruch: Obwohl 56 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer der Meinung sind, dass wir aufgrund der Überalterung der Gesellschaft und des Fachkräftemangels eigentlich mehr arbeiten müssten, finden 68 Prozent der Befragten, dass wir in der Schweiz grundsätzlich zu viel arbeiten. Auffallend auch, dass Frauen insgesamt eher denken, dass wir alle zu viel arbeiten. Gemäss den Studienmachern zeigt dies, dass Frauen folglich vermehrt den lebensweltlichen Zugang zur Erwerbsarbeit in den Vordergrund stellen («Wir arbeiten zu viel in der Schweiz»). Bei Männern hat dagegen die ökonomische Sichtweise mehr Gewicht («Wir sollten mehr arbeiten zur Sicherung des Wohlstands»).

Arbeit und Politik

Die generelle Haltung zur Erwerbsarbeit hängt stark von der politischen Orientierung ab. Personen, die linken Parteien näher stehen, finden eher, dass wir zu viel arbeiten. 

Nimmt uns die Digitalisierung Arbeit ab?

Nur ein Drittel glaubt, dass der digitale Wandel uns Arbeit abnimmt. Nur vier Prozent sind klar dieser Meinung. Die Digitalisierung wird auch in anderen Studien eher mit Stress und Leistungsdruck verbunden.

Wie viel würdest du «zum Spass» arbeiten?

Nehmen wir an, du hättest finanziell ausgesorgt. Wie viel Prozent würdest du noch arbeiten? In der Schweiz kommen wir auf einen Durchschnitt von 59 Prozent. Junge Männer würden gar eher noch etwas mehr arbeiten. Bei allen Personengruppen liegt das Pensum aber bei rund drei Tagen in der Woche.

Wer müsste mehr arbeiten?

Der Fachkräftemangel hat sich in den letzten Monaten zugespitzt. Wer diesen beheben soll, ist für rund die Hälfte klar: Kinderlose, die Teilzeit arbeiten. Erst danach folgen Mütter und Väter, die sich (für den Moment) aus dem Erwerbsleben zurückgezogen haben. Nur rund ein Drittel findet, dass Teilzeit arbeitende Mütter ihre Pensen erhöhen sollten.

Wer arbeitet Teilzeit?

Ein Grund für die Tatsache, dass das Arbeitspensum teilzeitarbeitender Mütter von allen am wenigsten infrage gestellt wird, dürfte auch damit zusammenhängen, dass Teilzeitarbeit in der Schweiz besonders stark mit dem Muttersein in Verbindung gebracht wird. 68 Prozent der Erwachsenen in der Schweiz verbinden Teilzeitarbeit mit Müttern. Das sind mehr als doppelt so viele wie «Menschen mit vielen Interessen», die auf Rang 2 folgen. Väter verbinden nur 19 Prozent mit Teilzeitarbeit.

Das beste Erwerbsmodell

Dass Mütter eher im Teilzeitmodell gesehen werden, zeigt auch die Frage nach dem besten Erwerbsmodell. Während bei Paaren ohne Kinder ein Arbeitspensum von 80 Prozent mehrheitlich als ideal angesehen wird, geht die Schere bei Kindern zwischen den Geschlechtern auf. Frauen finden, dass eine Mutter mit Kleinkindern 50 Prozent arbeiten sollte, Väter 80 Prozent. Bei den Männern sind die Antworten mit 45 und 80 Prozent praktisch gleich.

Gelebte Erwerbsmodelle

Von den idealen Erwerbsmodellen zu denjenigen, welche wirklich gelebt werden. Von allen erwerbstätigen Befragten, die in Familien- oder Paarhaushalten leben, ist die durchschnittliche Erwerbsbeteiligung der Männer 89 Prozent, bei den Frauen sind es 65 Prozent. Der Unterschied geht praktisch ausschliesslich auf Paare mit Kindern zurück. Dort arbeiten Frauen im Schnitt deutlich weniger.

Wer bringt wie viel Geld heim?

Während sich die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern in Paarhaushalten ohne Kinder nur wenig unterscheidet, ist das Ungleichgewicht beim Beitrag zum Haushaltseinkommen etwas grösser. Männer in kinderlosen Paarhaushalten tragen im Durchschnitt 55 Prozent zum Haushaltseinkommen bei, Frauen 45 Prozent. Deutlich grösser wird dieser Unterschied natürlich, wenn Kinder im Spiel sind. Dann tragen Männer rund 70 Prozent des Einkommens bei. Der Graben, der sich in der Kinderphase öffnet, wird nie mehr geschlossen.

Wer muss sich rechtfertigen

Interessant ist, wer sich für sein Erwerbspensum rechtfertigen muss. Grundsätzlich muss sich nur jede/r Vierte ohne Kinder für sein Pensum rechtfertigen, wogegen Erwerbstätige mit Kindern dies deutlich häufiger tun müssen. Auffallend: Mütter müssen sich deutlich am meisten rechtfertigen, wenn sie (praktisch) voll im Erwerbsleben bleiben oder sehr wenig arbeiten. Väter müssen sich viel eher rechtfertigen, wenn sie nicht über 90 Prozent arbeiten. Und praktisch immer, wenn sie weniger als den «typischen Papitag» beziehen.

Warum erhöhen wir das Pensum nicht?

Die Gründe für Teilzeitarbeit sind verschieden. Die meisten wollen einfach mehr Freizeit. Gefolgt wird dies bei Frauen von der Hausarbeit und Zeit mit den Kindern. Bei den Männern ist der zweithäufigste Grund eine Weiterbildung, danach die Arbeitsbelastung. Erst danach sind «Zeit mit den Kindern verbringen» und «Hausarbeit» die Gründe für das Teilzeitpensum.

Herdprämie ist beliebt

Es werden derzeit verschiedene Massnahmen zur Förderung der Erwerbsbeteiligung auf dem öffentlichen und politischen Parkett diskutiert. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll verbessert werden. Ein Ansatz ist: dass Kinder ab drei Monaten einen gesetzlich zugesicherten Betreuungsplatz erhalten sollen. 58 Prozent der Befragten unterstützen diesen Ansatz. Bei den Frauen sind es gar 68 Prozent. Ein anderer Ansatz ist die «Herdprämie». Hier sollen Eltern finanziell entschädigt werden, wenn sie ihre Kinder selbst betreuen. Dies zeigt, dass Massnahmen, welche es für Eltern attraktiver machen, nicht erwerbstätig zu sein, ebenfalls hoch im Kurs stehen. Kurz: Eine deutliche Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer befürwortet eine möglichst umfassende Unterstützung von Familien – unabhängig vom Erwerbsmodell.

Wer soll Betreuungskosten bezahlen?

Gratis soll die Kita nicht sein, der grössere Teil der Kosten sollen die Eltern tragen. Durchschnittlich geben die Befragten an, dass der Staat 36 Prozent der Kosten übernehmen soll. Frauen und jüngere Menschen würden lieber eine höhere Kostenbeteiligung des Staats sehen. Auch Befragte aus linken Parteien und solche mit tieferen Einkommen sind eher für staatliche Unterstützung.

Daten und Quelle
Die Datenerhebung fand zwischen dem 24. November und dem 12. Dezember 2022 statt und erfolgte online. Die Teilnehmenden wurden über die bestehenden Online-Panels von Sotomo und bilendi per Einladung rekrutiert («opt-in» online survey). Die realisierte Stichprobe beläuft sich auf 2019 Personen. Um repräsentative Ergebnisse zu erhalten, wurde die kombinierte Stichprobe mittels IPF-Verfahren («Iterative Proportional Fitting», auch «Raking» oder «Raking Ratio» genannt) statistisch gewichtet. Zu den Gewichtungskriterien gehören Geschlecht, Alter, Ausbildungsstand, Erwerbsquote sowie politische Positionierung (Parteinähe). Grundgesamtheit ist die sprachintegrierte Wohnbevölkerung der deutsch- und französischsprachigen Schweiz ab 18 Jahren. Für die vorliegende Gesamtstichprobe beträgt das 95-Prozent-Konfidenzintervall (für 50 Prozent Anteil) +/-2.2 Prozentpunkte.
 
Weiterlesen - ein Beitrag von Reto Fehr erschienen am 06.02.2023 auf www.watson.ch

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