Noch nie gab es in der Schweiz eine Mutter mit jungen Kinder in der Landesregierung. Dies könnte sich bald ändern. Mit der 44-jährigen Evi Allemann von der SP kandidiert eine Frau für die Nachfolge von Simonetta Sommaruga, die zwei Kinder im Alter von sieben und zwölf Jahren hat. Warum reden wir in der Schweiz überhaupt über Mütter, die mit jungen Kindern in den Bundesrat wollen? Eine Spurensuche.
Ein Blick in die Vergangenheit
Sieht man sich die bisherigen Bundesrätinnen an, fällt auf, dass sechs von bisher neun Magistratinnen gar keine Kinder hatten. Bei den dreien, die Kinder hatten, waren sie schon erwachsen, als die Politikerinnen das Amt antraten. Fakt ist, dass selbst amtierende kinderlose Bundesrätinnen betonen, dass eine solche Karriere mit Kindern nicht möglich gewesen wäre. So sorgte etwa Karin Keller-Sutter mit einer Aussage im September 2019 für Kontroversen, als sie sich gegen eine Elternzeit aussprach. Sie meinte damals: «Man kann nicht alles haben. Drei Kinder, ein Verwaltungsratsmandat und eine politische Karriere. Man kann sich auch selbst überfordern.» Doch wieso ist es im Ausland möglich und nicht in der Schweiz? Premierministerinnen wie die Jacinda Ardern in Neuseeland, Giorgia Meloni in Italien oder Sanna Marin in Finnland zeigen, dass es doch machbar ist.
Familienleben, Arbeitszeit und Akzeptanz
Die Politologin Martina Mousson vom Forschungsinstitut gfs Bern identifiziert mehrere Problemfelder. Zum Teil gehe es von den Frauen selbst aus. Nicht wenige diskutierte Kandidatinnen begründeten eine Absage mit dem Familienleben. «Der Bundesratsjob ist ein 24/7-Job, das sagen auch alle amtierenden Bundesräte und Bundesrätinnen.» Und Voten von Bundesrätinnen wie Karin Keller-Sutter könnten auch abschreckend wirken. Die Strukturen des Bundesratsamtes seien nicht auf Teilzeit oder fixe Arbeitszeiten angelegt, sagt Mousson weiter. In Finnland sei das anders. Dort sei es breit akzeptiert, dass man um 16 Uhr Feierabend mache, weil man die Kinder holen muss. «Man muss gewisse Kämpfe nicht mehr führen, weil es eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit ist.» Und auch die Kinderbetreuung sei anders organisiert – namentlich staatlich, wobei es auch abends Betreuungsangebote gebe. «Das fehlt in der Schweiz gänzlich.» Teil des Problems sei auch die gesellschaftliche Akzeptanz, so Mousson weiter. Es stosse auf Kritik, wenn eine Mutter soviel arbeite, und ihre Kinder beispielsweise durch den Partner oder eine andere Person mitbetreuen lässt. Zudem würden Frauen so aufs Muttersein reduziert und ihnen andere Kompetenzen abgesprochen.
Beim Männern alles kein Problem
Eva Herzog, eine andere SP-Kandidatin, drückte es an ihrer Medienkonferenz wie folgt aus: «Wir arbeiten alle auf die Zeit hin, wo das keine Rolle mehr spielt. Wenn ich mir die ganze Diskussion anschaue, dann habe ich den Eindruck, dass bei Frauen andere Kriterien gelten. Manchmal sind sie zu jung, dann haben sie zu kleine Kinder oder dann sind sie zu alt. Und bei den Männern werden diese Fragen einfach nicht gestellt.» Ganz im Gegensatz zu Männern, die sich solchen Fragen nie öffentlich zu stellen brauchen. Als Alain Berset Bundesrat wurde, waren seine Kinder zwischen fünf und neun Jahre alt. Bundesrat Ueli Maurer hatte Teenager-Kinder, als er gewählt wurde. Das Familienleben war damals kein Thema. «Das zeigt, wie die Realität dem gesellschaftlichen Diskurs hinterherhinkt», stellt Mousson fest. Es fehle zudem an Vorbildnern im Bundesrat, deshalb sei die jetzige Diskussion auch eine Chance, denn eine Bundesrätin mit jungen Kindern «wird immer noch als Novum oder Sonderereignis taxiert». Die Privatwirtschaft sei da schon etwas weiter, denn es gebe immer mehr Frauen in der Wirtschaft, die sich hohe Pensen zutrauten und mit der Familie in Einklang bringen würden.
Welche Rahmenbedingungen braucht es?
«Wir stecken da irgendwo mitten drin», sagt die Politologin Martina Mousson. Es sei viel in die Kinderbetreuung investiert worden, «Kitaplätze waren eine Zeit lang äusserst knapp vorhanden. Das ist heute nicht mehr unbedingt der Fall». Aber wieso sollte man nicht über eine Kita für den Bundesrat nachdenken, die auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist, quasi mit Notfall- und Krankheitsbetreuung? Die anderen Elternteile hätten zudem auch eine Entwicklung durchgemacht. Das siehe man etwa an den Absagen von Männern, auch mit der Begründung, sie möchten das nicht, solange ihre Kinder so klein sind, fügt Mousson hinzu. Dann gebe es noch einen Vorschlag von Cédric Wermuth, dass man die Verwaltung, den Bundesrat als Ganzes reformiere, die Departements kleiner mache, damit die Pensen auch etwas geringer seien. «Es gibt ganz viele Hebel, wo man ansetzen könnte.»
Weiterlesen - ein Beitrag erschienen am 11.11.2022 auf www.srf.ch