Noch immer sind Frauen in Führungspositionen im Vergleich zu Männern eine Seltenheit. Vielen kommt die Schweizer Kultur in die Quere. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie.
Je mehr Schweizer Mitarbeitende in einer Branche arbeiten, desto schwerer haben es Frauen, in eine Führungsposition aufzusteigen. Dies besagt der «Gender Intelligence Report», eine neue Studie der Universität St. Gallen und des Wirtschaftsverbands für Gleichstellung Advance. Zum einen hängt dies mit dem Schweizer Idealbild von Führungskräften zusammen, sagt Ines Hartmann, die die Studie mitverfasst hat: «Führung wird noch immer mit dem typischen Männerbild in Verbindung gebracht.» Führungskräfte müssen durchsetzungsfähig und kompetitiv sein – Attribute, die mit Männern assoziiert werden. Frauen hingegen schreibe man eher Bescheidenheit und Zurückhaltung zu. Zum anderen erschwere die Teilzeitkultur Frauen den Aufstieg. In Führungspositionen sei es die Norm, Vollzeit zu arbeiten. Wer in einem tieferen Pensum tätig sei, habe weniger gute Chancen auf eine Kaderstelle. «Die Teilzeitstrafe trifft alle Geschlechter, jedoch wird sie zum Frauenproblem, weil weitaus mehr Frauen Teilzeit arbeiten», ergänzt Hartmann. Zudem finden gemäss der Studie die Hälfte der Beförderungen im Alter von 31 bis 40 Jahren statt. «Das ist genau der Zeitpunkt, wenn viele Frauen ihr Pensum aufgrund der Familienplanung stärker reduzieren», so Hartmann. Im Ausland hingegen ist es für Frauen weniger üblich, Teilzeit zu arbeiten. Das Verhältnis derjenigen Frauen, die aus einer unteren Funktion ins oberste Kader aufsteigen, ist bei Schweizerinnen kleiner als bei Ausländerinnen. Wenn es Frauen in hohe Führungspositionen schaffen, sind es gemäss der Studie verhältnismässig mehr Frauen ohne Schweizer Pass. 70 bis 80 Prozent der Kaderstellen sind von Männern besetzt. Wenn es Frauen nach oben schaffen, haben sie im Management häufig Rollen mit wenig Einfluss auf den Geschäftsgang, wie Personalchefin oder Kommunikationsverantwortliche. In der Studie zeigen sich jedoch je nach Branche Unterschiede.
Schwererer Aufstieg bei Versicherungen und Banken
Erstmals wurde im Rahmen der Studie der Glass Ceiling Index (GCI) der einzelnen Branchen untersucht. Dieser besagt, wie dick die gläserne Decke ist, also wie schwer es Frauen haben, aufzusteigen. Besonders dünn ist die gläserne Decke in der Pharma- und in der Maschinen-, Elektro- und Metallbauindustrie (MEM-Branche). Schwerer haben es Frauen bei Versicherungen und Banken. Die Bankenbranche hat im unteren Kader einen Frauenanteil von 31 Prozent, die MEM-Branche 19 Prozent. Jedoch haben beide Branchen im oberen Kader einen Frauenanteil von 16 Prozent. Dieses Beispiel zeigt, dass die MEM-Industrie ihr Gender-Diversity-Potenzial gut abschneidet, während die weibliche Talent-Pipeline in der Bankenbranche deutlich weniger genutzt wird, heisst es in der Studie. Gemäss Hartmann geht es für Frauen jedoch bergauf. Bei den untersuchten Unternehmen hat der Frauenanteil im Kader im Vergleich zu 2020 um drei Prozentpunkte zugenommen. Doch wieso verläuft dieser Fortschritt so langsam? «Mann macht gerne das, was man schon immer gemacht hat», vermutet Hartmann. Sie sieht jedoch einen Hoffnungsschimmer: Die Pensionierungen der Babyboomer stehen an. «Nun ist ein guter Zeitpunkt für Unternehmen, um zu reflektieren, wie die Führung der Zukunft aussehen soll und welche Kompetenzen gefragt sind. Das führt dazu, dass mehr Vielfalt möglich sein wird.»
Weiterlesen - ein Beitrag von Lisa Wickart erschienen am 15.09.2022 auf www.srf.ch