Heiratsstrafe - Willst du mich heiraten oder Steuern sparen?

Seit bald 40 Jahren ist die Heiratsstrafe bundesgerichtlich verboten. Trotzdem sind immer noch Hunderttausende davon betroffen. Die Politik ist sich einig: Die Heiratsstrafe gehört abgeschafft, nur über das «Wie» herrscht keine Einigkeit.

Dani* (34) und Anna* (32) sind verlobt. Die beiden zögern aber noch mit dem Heiraten. Denn nach der Hochzeit würden sie mehr Steuern zahlen. Beide arbeiten auf der Bank und wohnen im steuergünstigen Kanton Zug. Zusammen versteuert das junge Paar ein Einkommen von rund 200'000 Franken. Dani hat grob ausgerechnet, dass sie eine Heirat jährlich rund 7'000 Franken Steuern mehr kosten würde. Denn ihr Einkommen würde zusammengezählt und zum höheren Steuersatz versteuert. Das sei unfair. So wie Anna und Dani geht es vielen Ehepaaren. Betroffen sind vor allem Gutverdienende. Die Heiratsstrafe betrifft nämlich vor allem Ehen, bei denen jeder Ehepartner 75'000 bis 125'000 Franken Jahreseinkommen erzielt.

Kantone haben die Heiratsstrafe mehrheitlich abgeschafft

Bereits 1984 hat das Bundesgericht in einem Urteil festgehalten, dass die Heiratsstrafe verfassungswidrig ist und demnach abgeschafft gehört. Von einer Heiratsstrafe spricht das Bundesgericht, wenn Ehepaare mindestens 10 Prozent mehr direkte Bundessteuern bezahlen als dies Konkubinatspaare (unverheiratete Paare) in gleichen wirtschaftlichen Verhältnissen tun. Die Kantone haben sich das zu Herzen genommen und Entlastungsmassnahmen für Ehepaare eingeführt. Nicht so der Bund. So zahlen rund 700'000 Doppelverdiener- und Rentnerpaare wegen der Heiratsstrafe jährlich bis zu 1,5 Milliarden Franken Steuern in die direkte Bundessteuer.

Mehrere Vorhaben zur Abschaffung gescheitert

Die Politik ist zwar auch auf Bundesebene nicht untätig geblieben. So gab es bereits in den 1980er- Jahren Versuche, die Besteuerung von Ehepaaren jener der Konkubinatspaare anzupassen. Erfolglos. Das Vorhaben scheiterte aber auch an der Urne. Vor sechs Jahren lehnte das Stimmvolk die CVP-Initiative zur Abschaffung der Heiratsstrafe knapp ab. Das Bundesgericht erklärte zwar die Abstimmung später für ungültig, weil der Bundesrat falsche Zahlen verbreitet hatte. Zu einer Wiederholung der Abstimmung kam es aber bisher nicht (siehe Box). Ein Grund, weshalb die Heiratsstrafe auf Bundesebene noch nicht behoben wurde, ist die Uneinigkeit der Parteien. So wird eine Lösung aus parteiideologischen Gründen verhindert. Liberale und Linke setzen sich für die Individualbesteuerung ein. Das System käme einer Steuerrevolution gleich: So würden auch Ehepartner künftig separat besteuert. Der Zivilstand würde keine Rolle mehr spielen. Die Mitte und die SVP hingegen wollen an der gemeinsamen Besteuerung festhalten. Sie setzen auf das sogenannte Splittingmodell, wie es bereits viele Kantone kennen. Bei diesem Modell werden die Einkommen zusammengezählt und dann halbiert. So wird der Steuersatz bestimmt, der schliesslich auf das Gesamteinkommen des Ehepaars angewandt wird. Die Steuerprogression durch die Heirat wäre verhindert, ergo die Heiratsstrafe abgeschafft.

Parlament setzt auf Individualbesteuerung – FDP gibt Gas

Vor zwei Jahren hat das Parlament den Bundesrat beauftragt, eine Lösung zur Beseitigung der Heiratsstrafe aufzuzeigen. Dabei soll er das Modell der Individualbesteuerung forcieren. Der Bundesrat hat gleich drei Modelle dazu vorgeschlagen. Diese sollen nun vertieft geprüft werden. So lange wollen die Freisinnigen nicht warten. Die FDP-Frauen haben eine Volksinitiative zur Einführung der Individualbesteuerung lanciert. Mitinitiantin und Präsidentin der FDP-Frauen Susanne Vincenz-Stauffacher bezeichnet die Individualbesteuerung als beste Lösung: «Mit dem Vollsplitting bleibt man auf halbem Weg stehen. Denn mit der Individualbesteuerung erhöht man den Erwerbsanreiz auch für Zweitverdienende». Damit würden vor allem die Frauen motiviert, mehr zu arbeiten, da derzeit vor allem noch Frauen Zweitverdienerinnen seien, meint FDP-Nationalrätin Vincenz-Stauffacher.

Mitte-Partei wehrt sich gegen Individualbesteuerung

Die Mitte setzt weiter auf das Splittingmodell: Dieses sei einfacher, kostengünstiger und fairer. Der St. Galler Mitte-Ständerat Benedikt Würth sagt: «Die Individualbesteuerung ist kein zielführender Weg». Denn diese würde zu deutlich mehr Aufwand und Bürokratie führen. Allein in seinem Kanton St. Gallen schätzt Würth, dass 130'000 Steuererklärungen zusätzlich bearbeitet werden müssten, sollten künftig alle Ehepartner eine Steuererklärung ausfüllen. Käme hinzu, dass das Volk mit dem Ja zur «Ehe für alle» die Ehe stärken wolle. Mit der Individualbesteuerung würde das Gegenteil gemacht. Skeptisch sind auch die Gewerkschaften. Für sie hat die Abschaffung der Heiratsstrafe keine allzu grosse Priorität: Denn diese würde vor allem die Gutverdienenden entlasten. Die fehlenden Steuereinnahmen in Milliardenhöhe müssten alle tragen. Ob Individualbesteuerung oder Splittingmodell: Hinter der Diskussion über Vor- und Nachteile steckt mehr als reine Steuerpolitik. Vielmehr lässt sich der ideologische Hintergrund der Parteien erkennen.

Happy End für Anna und Dani  

Derweil könnten bei Anna und Dani doch bald die Hochzeitsglocken läuten. Sie haben einen Steuerberater zugezogen. Der hat ihnen aufgezeigt, dass bei Ihnen die Heiratsstrafe jährlich «nur» etwas mehr als 2'000 Franken ausmacht. Also dreimal weniger als Dani berechnet hat. «Also wenn die Heiratsstrafe tatsächlich nur 2'000 Franken ausmacht, dann ist es das uns wert», sagen beide. Vielleicht gibt es also doch noch dieses Jahr eine Hochzeit. Allerdings nur im Standesamt und nicht vor dem Traualtar. Denn Anna und Dani sind beide aus der Kirche ausgetreten – vor allem auch aus steuerlichen Gründen.

*Namen geändert

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