Familienpolitik in der Schweiz, Bilanz Wirtschaftsmagazin 05-2022

Gleichstellung im Wandel: Gut ausgebildete Frauen haben den Anspruch, gleichberechtigt im Arbeitsmarkt zu agieren. Woran scheitert dieser Wunsch, und wie könnte es gelingen?

Der Direktor von Pro Familia Schweiz, Philippe Gnaegi, stellt die Familienpolitik in den aktuellen Kontext. Auf rund 400 Seiten ist ein hochinformatives Sachbuch
entstanden, das umfangreiches Wissen zur Familienpolitik spannungsvoll vermittelt und sowohl Arbeitgeber als auch gesellschaftspolitisch Interessierte bedient. Dass sich bezüglich Gleichstellung von Mann und Frau über die vergangenen Jahrzehnte vieles entwickelt hat, illustriert das Buch einleitend mit der Geschichte der Familienpolitik.

Gnaegi, Dozent an den Universitäten Freiburg und Neuenburg, und seine Co-Autorin Nadine Hoch, Geschäftsleiterin der Eidgenössischen Kommission für Familienfragen, zeigen auf, wie wichtig das Ineinandergreifen von Familie, Arbeitgebern und Behörden ist, will ein Fortschritt in der Familienpolitik erreicht
werden. Immer mehr gut ausgebildete Frauen haben den Anspruch, gleichberechtigt im Arbeitsmarkt zu agieren. Eine Umfrage unter 500 berufstätigen Müttern
dokumentiert, dass einer der Hauptgründe für das lange Fernbleiben von der Arbeit nach der Geburt die hohen Kinderbetreuungskosten sind.

Die optimale Vereinbarkeit von Familie und Beruf bedingt ein Überdenken der Haushaltsund Betreuungsaufgaben unter den Eltern, denn Mütter wollen ihre Kinder nicht die ganze Woche extern betreuen lassen. Das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Familie muss nicht nur in der Beziehung zwischen Eltern und Arbeitgebern gesucht werden, sondern auch innerhalb der Familien.

Eine Kosten-Nutzen-Analyse einer familienfreundlichen Unternehmenspolitik zeigt, dass Massnahmen der Arbeitgeber zugunsten von Beschäftigten mit Familienpflichten vor allem ihnen selbst grossen Nutzen bringen. Die Annahme des Bundesgesetzes über die Gleichstellung von Frau und Mann am 1. Juli 1996 markiert eine Zäsur. Erstmals in der Geschichte der Schweiz wurden die Familien- und die Gleichstellungspolitik zusammengeführt. Inzwischen streben auch die Väter nach einer stärkeren Beteiligung an der Familienarbeit, was wiederum den Frauen immer mehr ermöglicht, mit hohen Pensen von 70 Prozent oder mehr im Berufsleben zu bleiben. So scheiden Mütter seltener aus dem Arbeitsprozess aus, können ihre Berufskarriere weiterverfolgen und geniessen ein Mindestmass an sozialer Sicherheit. Die Einführung einer Elternzeit würde die Entwicklung begünstigen. Zu durchdenken sind auch ein Vorantreiben der Mehrgenerationenpolitik und die Schaffung von Rahmenbedingungen, die es erleichtern, dass betreuende Angehörige Leistungen innerhalb der Familien erbringen.

Bilanz Wirtschaftmagazin 05-2022 (Guide Schilling liest)

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