Mit den anstehenden Revisionen der Sozialversicherungen rücken die Fragen rund um eine gerechte Verteilung zwischen Mann und Frau ins Scheinwerferlicht und sorgen für einen polarisierten Schlagabtausch zwischen den Geschlechtern. Die Sache ist komplex und selten ist klar, wovon die Rede ist. Frauen sparen in der Altersvorsorge durchschnittlich 37 Prozent weniger an als Männer. Das hat damit zu tun, dass grossmehrheitlich immer noch Frauen die Betreuungsarbeit in der Familie leisten und dafür im BVG nicht entschädigt werden. Altersarmut ist weiblich. Die BVG-Revision sieht nur eine geringe Verbesserung dieser Situation vor. Frauen sollten darum dafür sorgen, dass die unentgeltliche Betreuung in der Familie im privaten Rahmen ausgeglichen wird.Die Ausgangslage
Frauen bekommen 37 Prozent weniger Rente als Männer, sagt eine Studie, die 2016 im Auftrag des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BFS) gemacht wurde. Das heisst, sie erhalten aus der AHV und dem BVG und der 3. Säule bei der Pensionierung 37% weniger Geld als Männer. «Von wegen «Rentenlücke» – die ledigen Frauen haben die Männer überholt», titelt jedoch die NZZ am 24. Januar 2022 und wirft den Linken Stimmungsmache in der Diskussion um die Rentenreform vor. Allerdings vergleicht die NZZ in diesem Artikel ledige Frauen und Männer. Die Linke hingegen spricht vor allem von den Frauen und Männern, die Kinder haben. Das ist ein grosser und wichtiger Teil der Bevölkerung und dort liegt vieles im Argen: Laut dem Bundesamt für Statistik leben in 29 Prozent der 3.8 Millionen Privathaushalte Kinder unter 25 Jahren, das macht gemäss BFS immerhin 40.5 Prozent der Bevölkerung aus. 16 Prozent davon sind Einelternhaushalte, und von diesen wiederum machen die Einelternhaushalte mit Müttern 83 Prozent aus.
Was hat das mit der Rentenreform zu tun? Die Mehrheit aller Paare mit Kindern in der Schweiz lebt heute ein Familienmodell, in welchem der Mann 100 Prozent arbeitet, die Frau grossmehrheitlich die Kinder betreut und in einem Teilzeitpensum 20 bis 40 Prozent arbeitet. Solange das Paar zusammenbleibt, ergeben sich in den meisten Fällen auch nach der Pensionierung keine grösseren finanziellen Probleme, sofern sie nicht schon vorher bestanden haben. Das war vom Gesetzgeber so geplant und funktioniert nach wie vor. Nun hat sich die Realität aber sehr verändert. Die Scheidungsrate ist bekanntlich massiv gestiegen. Die Zahl der Einelternhaushalte mit Kindern unter 25 Jahren hat seit 1970 um 166 Prozent zugenommen, während der Anteil der Paarhaushalte mit Kindern in dieser Zeit von 42 auf 24 Prozent zurückgegangen ist (Familien in der Schweiz, BFS 2021).
Die Situation von geschiedenen Müttern mit Kindern
Und nun kommts: Trennt sich ein Paar mit Kindern, wird zwar heute in der Regel beiden das gemeinsame Sorgerecht zugesprochen, faktisch betreut aber vor allem unter der Woche die Mutter die Kinder weiter, 83% der Einelternhaushalte sind Haushalte mit Müttern. Dies bedeutet, dass diese Frauen nicht voll arbeitsfähig sind, solange die Kinder klein sind. Dazu kommt, dass sie wegen der Kinder vorher meist in kleinen Pensen gearbeitet haben, sich weniger weiterbilden konnten und ganz selten beruflich aufgestiegen sind. Das Gericht wendet bei einer Scheidung bezüglich der angesparten Altersguthaben aus AHV, BVG und dritter Säule das Splitting an, das heisst, beide erhalten je die Hälfte des zusammen angesparten Altersguthabens. Die Frau und Mutter wird also bis zum Zeitpunkt der Scheidung indirekt auch für ihre Familienarbeit entschädigt. Das ist fair und vom Gesetzgeber gewollt, der damals noch davon ausging, dass Familien in der Regel zusammenbleiben. An die Zeit nach der Scheidung hat der Gesetzgeber damals nicht gedacht und sie wird von den Gerichten bisher auch nicht berücksichtigt, was die Altersvorsorge angeht. Dort liegt das Hauptproblem und dort entsteht der grosse Gender-Gap: Frauen, die nach einer Scheidung die Kinder weiter betreuen, können also wegen ihren Teilzeitpensen weniger oder gar keine Pensionskassenguthaben ansparen. Der Gender-Gap macht im BVG allein sogar 44% aus.
Gesetzliche Reformvorschläge
Das Ungleichgewicht bei der AHV ist mit 2.7 Prozent relativ klein. Deshalb dreht sich diese Diskussion vor allem um die Finanzierung und ums AHV-Alter. Beim BVG, wo der Gender-Gap 44 Prozent beträgt, erhofft man sich eine Besserstellung der Frauen, indem die Eintrittsschwelle auf die Hälfte reduziert wird, das heisst, dass Frauen ihr Einkommen schon ab einem Mindestlohn von rund 12'548 Franken versichern können und nicht erst ab 21'510Franken wie bisher. Diese Massnahme allein wird den Geschlechter-Graben nur unwesentlich verkleinern, aber immerhin. Eine Erziehungsgutschrift, mit welcher in der AHV die Familienarbeit der Frauen berücksichtigt wird, ist in der BVG-Revision nicht in Prüfung, weil sie dem System der einkommensbedingten Altersvorsorge widerspricht. Eine solche würde mithelfen, den Gender-Gap zu verkleinern. Vom Gesetzgeber ist hier auch in den laufenden Revisionsverhandlungen nicht viel zu erwarten.
Private Lösungsmöglichkeiten
Helena Trachsel, Gleichstellungsbeauftragte des Kantons Zürich führt regelmässige Workshops für Frauen in Ausbildung durch. Ihr Mantra: Frauen sollten konsequent mindestens 50 Prozent im Berufsleben bleiben, auch wenn sie Kinder bekommen. Nach Studien des Gleichstellungsbüros wäre eine ideale Aufteilung der Erwerbsarbeit bei einem Paar mit Kindern sogar eine Arbeitstätigkeit von je 70 Prozent. Das würde zu einer tragbaren Altersvorsorge führen und wäre steuerrechtlich gesehen optimal. Vor allem aber würden die Frauen sich ihre berufliche Weiterentwicklung nicht verbauen. Nur gerade 10 Prozent aller Paare mit Kindern teilen sich die Erwerbsarbeit heute jedoch so auf. Oft ist die externe Kinderbetreuung zu teuer oder die Frau verdient – ihrer weniger guten Ausbildung geschuldet oder weil die Löhne noch immer nicht gleich hoch sind oder weil sie in Niedriglohnberufen tätig ist – weniger als der Mann. Das Fazit ist in den meisten Familien das Gleiche: Sie bleibt zuhause und kümmert sich um die Kinder, er arbeitet voll, weil sich alles andere finanziell nicht lohnen würde. Selbst Studentinnen der Universität Zürich, also gut ausgebildete Frauen mit Karrierechancen, räumen ein, dass es schwierig sein dürfte, ein gleichberechtigtes Familienmodell zu leben. Sogar in ihren Köpfen sind die traditionellen Muster noch sehr präsent. Corinne Brecher hat als selbständig Erwerbende im Moment keine eigene Pensionskasse. Hätte sie eine, könnte ihr Mann ihr auch regelmässig darauf einen vereinbarten Betrag einzahlen. So ergäbe sich für beide eine ausreichende Altersvorsorge, egal ob sie zusammenbleiben oder sich irgendwann trennen. Sie könnte dank ihrer ununterbrochenen Berufstätigkeit auch bei einer Trennung selbständig für sich aufkommen, die Kinderkosten könnte man hälftig teilen. Dass Frauen künftig nach einer Scheidung sofort wieder selbst für sich aufkommen müssen, hat übrigens auch das Bundesgericht 2021 entschieden. Unterstützungsbeiträge an Ex-Frauen (selten auch an Ex-Männer) wird es künftig also nur noch in Ausnahmefällen geben.
Geld anlegen
Der Umgang mit Geld ist nach wie vor für viele Frauen eine Herausforderung, das zeigt die Statistik klar. Viele trauen sich schlichtweg nicht zu, ihr Geld aktiv zu verwalten und lassen es, so sie denn eigenes Erspartes haben, auf dem Konto liegen. 30 Prozent der Frauen in der Schweiz kümmern sich nicht um ihr Geld, bei den Männern sind es 10 Prozent. Auch das hat historische und gesellschaftlich bedingte Gründe. Bis 1976 war den Frauen eine Eröffnung eines eigenen Bankkontos nur mit Zustimmung des Ehemannes erlaubt. Bis heute hält sich in vielen Frauenköpfen die Idee, dass sie von Geldanlagen keine Ahnung hätten. Auch in den Schulen wird Finanzkompetenz nicht gelehrt.