Gleichberechtigung und Diversität im Job

Firmen fragen Mitarbeitende nach ihrer Hautfarbe und sprechen bei Job-Inseraten nicht mehr nur Mann und Frau an: Unternehmensberater und Coach Reinhard Vissa erklärt im Interview, wie sich Unternehmen am besten in Fragen Gleichberechtigung und Diversität verhalten. Die UBS fragt Mitarbeitende nach der Hautfarbe, die Uefa verbietet ein Regenbogen-Stadion. Immer wieder kommt es zu Shitstorms, weil sich Unternehmen falsch verhalten. Darum brauchen Firmen klare Richtlinien, wenn es um Diversität und Gleichberechtigung geht. Unternehmensberater und Coach Reinhard Vissa erklärt im Interview wie das geht.

 

Herr Vissa, die UBS fragt jetzt ihre Mitarbeitenden, welche Hautfarbe sie haben. Das hat zu einem Shitstorm geführt. Wie sollte sich ein Unternehmen in so einer Situation verhalten?

Wichtig ist, dass diese Angaben absolut freiwillig und vertraulich sind. Aber um Diversität und Gleichberechtigung in einem Unternehmen zu fördern, muss ein Bewusstsein darüber herrschen, von welchen Zugehörigkeiten die Firmen getragen werden. Für einen grossen Konzern kann es aber schwierig sein, den Überblick bezüglich der ethnischen Zugehörigkeit der Mitarbeitenden zu behalten. Deshalb erachte ich die Frage der UBS als unproblematisch. Um mit Shitstorms richtig umgehen zu können, rate ich Unternehmen generell, ein Wertesystem zu Themen wie Gleichberechtigung und Diversität zu entwerfen. Dieses muss festhalten, welche Haltung die Firma einnimmt. Daran kann sich ein Unternehmen in einer Krisensituation orientieren und weiss, wie es reagieren muss.

Wie sollte dieses Wertesystem genau aussehen – steht dort auch drin, ob Führungspersonen ihre Mitarbeitenden in den Ausgang einladen dürfen?

Ich denke, das grenzt an Bevormundung und wäre nicht der richtige Weg. Vielmehr sollten Werte wie Respekt, Toleranz, Anstand und gewaltfreie Kommunikation von Führungskräften vorgelebt und durchgesetzt werden. Wenn diese Werte in beruflichen wie auch privaten Begegnungen von uns allen gelebt werden, schaffen wir klare Grenzen für Übergriffe. Das kollektive Bewusstsein zu fördern, hat eine stärkere Wirkung als ausufernde Regelwerke.

Können Firmen überhaupt etwas tun, um Sexismus zu verhindern?

Natürlich kann eine Firma nicht korrigieren, was in der Gesellschaft falsch läuft. Grundsätzlich gilt gleiches wie in allen Lebensbereichen: Werte setzen Kommunikation voraus. Indem wir Werte im Alltag leben, entsteht eine Haltung. Es würde sich beispielsweise lohnen, wenn die Chefetage am Jahrestreffen nicht nur über Ziele und Strategien spricht, sondern auch Stellung zu kulturellen Themen wie Werteverständnis, neue Arbeitsformen wie Homeoffice, interne Kommunikation, Diversität und eben auch Sexismus nehmen würde.

Dürfen Mitarbeitende diesbezüglich auch Forderungen an ein Unternehmen stellen?

Öffentliche kommunizierte Forderungen ohne vorherige interne Gespräche sind selten Nährboden für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Jede Bewerberin und jeder Bewerber sollte vor der Anstellung die Übereinstimmung seiner eigenen Werte mit denjenigen des künftigen Unternehmens überprüfen. Diese stehen meistens im Leitbild und sind im Internet ersichtlich oder können im persönlichen Bewerbungsgespräch besprochen werden. So wird beispielsweise Shell als Mineralölförderer kaum Ökologie dominant in seinem Wertesystem führen. Als Mitarbeiter oder Mitarbeiterin dann ökologische Forderungen zu stellen, wäre kaum zielführend.

Müssen Firmen also auf die Wünsche der Mitarbeitenden gar nicht eingehen?

Führungskräfte müssen wertrelevante Strömungen innerhalb des Unternehmens erkennen und Ideen der Mitarbeitenden ernst nehmen. Ob Wünsche und Ideen im Interesse des unternehmerischen Leistungsauftrags umgesetzt werden können, muss die Chefetage prüfen und entscheiden. Ob beispielsweise die gendergerechte Schreibweise eingeführt wird, ist letztlich ein Management-Entscheid, der allen Mitarbeitenden kommuniziert werden muss, damit die Rahmenbedingungen klar sind.

Was kann eine Firma tun, wenn die Mitarbeitenden an die Öffentlichkeit treten und von einem Geschehnis erzählen?

Damit üben die Mitarbeitenden Druck auf das Unternehmen aus. Das stärkt das gegenseitige Vertrauen von Arbeitgeber und Mitarbeitenden nicht gerade. So etwas passiert auch meist erst dann, wenn eine Firma es verpasst hat, Stellung zu beziehen, die Bedeutung von Themen unterschätzt hat oder mutmasslichem Fehlverhalten nicht klar und konsequent begegnet ist. Tritt ein Unternehmen frühzeitig in den Dialog mit den Mitarbeitenden und setzt seine Werte durch, kommt es nicht so weit.

Diversity ist im Trend: Sollten Firmen Diversität also von sich aus fördern?

Diversität kann ein Wettbewerbsvorteil für Unternehmen sein. Es lohnt sich also auf jeden Fall, Diversität und Inklusion zu fördern. Davon profitieren nicht nur die Mitarbeitenden, sondern auch das Unternehmen. Denn schlussendlich geht es immer darum, das Potential aller Angestellten zu nutzen. Firmen, die beispielsweise Frauen nach der Babypause nicht mehr einstellen wollen, denken zu kurzfristig. Gerade Fachspezialistinnen und weibliche Führungskräfte verlieren ihr Potential nicht, nur weil sie Mutter geworden sind.

Die Uefa hatte während der EM im Sommer die Regenbogenfarben im Münchner Stadion abgelehnt. Was riskieren Unternehmen mit so einer Aktion?

Die Grenzen von Sport und Politik verwischen leider immer stärker als gewünscht. Die Uefa verpasste die Chance, ein klares Statement zu setzen und Sympathien für den Verband zu gewinnen. Stattdessen erlag sie dem politischen Druck einzelner Länder, die sich leider nicht mit demokratischem und gesellschaftlichem Fortschritt rühmen können. Für ein Unternehmen sehe ich dies etwas differenzierter. Sich zu Diversität und Inklusion zu bekennen, kann imagemässig und wettbewerbstechnisch Vorteile bringen. Das muss es aber nicht zwingend: Es hängt stark von der Branche, Marktbedeutung und dem öffentlichen Interesse am Unternehmen ab. So kann es auch negative Folgen haben, wenn sich eine Firma lautstark zu gewissen Werten bekennt, diesem Bekenntnis dann aber keine Taten folgen lässt. In diesen Fällen ist eine neutrale Haltung besser.

Sind LGBTQ-Labels sinnvoll?

Vissa: «Das Swiss LGBTI-Label zeichnet Unternehmen und Organisationen aus, die eine offene und inklusive Organisationskultur leben. Nebst einem Dutzend KMUs sind bereits zahlreiche Unternehmen wie ABB, Allianz, BDO, Credit Suisse, Roche, Novartis, Nestlé, MSD, SAP, SWISS, Swisscom, UBS, ZKB und viele mehr Träger dieses Labels. Dieses Label macht allerdings nur Sinn, wenn das Bekenntnis auch innerhalb der Firma gelebt wird. Sonst kann dieses Engagement schnell an Glaubwürdigkeit verlieren und das Image eher Schaden nehmen.»

Weiterlesen - ein Beitrag von Barbara Scherer erschienen am 18.12.2021 auf www.20min.ch

 

 

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