«Die meisten Unternehmen kennen flexible Arbeitszeiten», sagt Thomas Geiser, Professor für Arbeitsrecht an der Universität St. Gallen. Allerdings nicht komplett frei. Denn die Arbeit in der Nacht, an Sonntagen und an gesetzlichen Feiertagen ist wegen des Gesundheitsschutzes verboten und nur mit einer entsprechenden Bewilligung erlaubt. Diese wird nur aus besonderen Gründen erteilt, sagt Arbeitsrechtsexperte Nicolas Facincani. Anspruch darauf haben etwa Betriebe wie Kraftwerke. Im Detailhandel darf höchstens an vier Sonntagen im Jahr ohne Bewilligung gearbeitet werden. Insgesamt darf nicht mehr als an fünfeinhalb Tagen pro Woche und am Tag nicht länger als 14 Stunden gearbeitet werden, Ausnahmen sind nur begrenzt möglich. Für die totale Flexibilität bräuchte es laut Facincani Gesetzes- und Verordnungsänderungen. Nur fürs Top-Kader gelten die Regeln nicht. Wenn die Angestellten so arbeiten könnten, wie es ihrem persönlichen Rhythmus entspricht, profitieren die Firmen. «Wenn festangestellte Mitarbeiter selber bestimmen können, wann sie arbeiten wollen, sind sie produktiver und motivierter», sagt Karin Frick, Forschungsleiterin am Gottlieb Duttweiler Institute (GDI). Auch für die Angestellten wäre es «eine grosse Hilfe, um alle Lebensbereiche unter einen Hut bringen zu können», sagt Arbeitspsychologin Corinne Baumgartner von der Organisationsberatung Conaptis und Mitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Arbeits- und Organisationspsychologie SGAOP. Auch steige das Selbstwertgefühl, wenn man das Vertrauen geniesse, selber entscheiden zu können.
Die Expertin warnt aber auch vor den Nachteilen. Die neue Freiheit und die Entgrenzung von Arbeit und Freizeit stelle hohe Anforderungen an die Selbstorganisation. «Abschalten und Erholung werden schwieriger und die Gefahr der Selbstausbeutung steigt», so Baumgartner. Verstärkt wird das durch die Echtzeitkontrolle am PC. «Keiner will der sein, dessen Symbol immer zuerst abwesend anzeigt», sagt die Expertin. «Die Kommunikation ist schwieriger, wenn man seltener gleichzeitig mit den anderen Angestellten arbeitet. Auch das Informelle und die Emotionen kommen ohne direkten Kontakt zu kurz», so Baumgartner. Dadurch könnte die soziale Unterstützung im Team abnehmen. Diese Gefahr ist nicht zu unterschätzen, denn das Gefühl der Zugehörigkeit federt laut der Expertin viele Stressfolgen ab.
Für Vorgesetzte werde es schwieriger, die Mitarbeitenden zu führen und zu spüren, wie es ihnen geht. Deshalb gelte es, das Direkte der zwischenmenschlichen Interaktion sicherzustellen, denn nur durch persönlichen Kontakt lasse sich Vertrauen aufbauen. Betriebe müssten deshalb ihre Teams sorgsam pflegen. So könne man etwa im Team klären, ob die Kernarbeitszeit einzuhalten sind, zu welchen Zeiten man nicht mehr erreichbar sein möchte oder welche Strukturen es für Meetings braucht.
Weiterlesen - ein Beitrag von Fabian Pöschl erschienen am 13.12.2021 auf www.20min.ch