Immer mehr Frauen in der Schweiz sind immer besser ausgebildet. Das ändert aber nichts daran, dass auch hochqualifizierte Frauen im Schnitt weniger arbeiten als Männer. Nicht, weil sie keine Lust hätten – sondern weil sie nach der Familiengründung zu wenig Unterstützung erhalten.
Man könnte sagen, Salomé Hug hat eine Vorzeigekarriere gemacht: Nach der Ausbildung an der ETH ist die 45-jährige Bauingenieurin bei einem Basler Ingenieursbüro inzwischen zum Mitglied der Geschäftsleitung aufgestiegen. Mit drei halbwüchsigen Kindern und einem 80-Prozent-Pensum keine Selbstverständlichkeit. «Es ist auf jeden Fall sehr anspruchsvoll», sagt Hug, die Kinder im Alter zwischen 8 und 13 Jahren hat. In der Kleinkind-Phase war es die Müdigkeit, die sie trotz der vielen Arbeit wegstecken musste. Aber auch jetzt sei es nicht viel einfacher: «Jetzt, wo sie grösser sind, mit der Schule, den Freizeitbeschäftigungen neben der Schule, das erfordert grosse Flexibilität.» Mehr Flexibilität würde sie sich daher auch bei der Kinderbetreuung wünschen. «Gerade für die grösseren Kinder ist hier in Basel zu wenig da, zu wenige Angebote. Das ist immer wahnsinnig schwierig, das zu organisieren.» Aber auch während der Schulzeit sei es schwierig: «Es sind nur wenige Plätze. Man muss die Kinder sehr früh anmelden. Und die Spitzenzeiten sind schlecht abgedeckt.» Das sind Probleme, die offenbar nicht nur die Bauingenieurin aus Basel hat, sondern die auch viele andere gut ausgebildete Frauen in der Schweiz davon abhalten, mit grösserem Arbeitspensum zu arbeiten, wenn einmal Kinder da sind.
Eine Studie des Forschungsinstituts Sotomo im Auftrag des Verbandes freier Berufe zeigt: Es werden zwar immer mehr Architektinnen, Ärztinnen, Juristinnen oder Ingenieurinnen ausgebildet. Und zwischen den 25- bis 64-Jährigen mit einem Hochschulabschluss gibt es ebenso viele Männer wie Frauen. Aber: Sobald das erste Kind kommt, reduzieren viele dieser gut ausgebildeten Frauen die Arbeitszeit. Oder hören ganz auf zu arbeiten.
Mehr Unterstützung von Staat und Wirtschaft
Pirmin Bischof, Mitte-Ständerat aus Solothurn und Präsident des Verbands freier Berufe, sieht Handlungsbedarf: «Bei hochqualifizierten Frauen ist es wichtig, dass man einen relativ grossen Prozentanteil der Arbeit aufrechterhalten kann.» Auch, um den Fachkräftemangel in den Griff zu bekommen. Staat und Wirtschaft müssten Frauen daher mehr unterstützen, sagt Bischof. Um jenen, die trotz Kindern gerne mehr arbeiten würden, dies zu ermöglichen. «Deshalb ist es nötig, die Kinderbetreuung hier besser zu fördern. Das machen die Nachbarstaaten wesentlich besser.» Gefragt sei vor allem der Staat, mit mehr und günstigeren Betreuungsangeboten, sagt der Verbandschef und Jurist. Aber auch Unternehmen, mit flexibleren Arbeitsmodellen.
Mehr Flexibilität von Familien und Unternehmen
Nicht alle teilen seine Meinung. Zumindest in den Städten und Agglomerationen gäbe es bereits sehr gute Betreuungsangebote, sagt Nadja Umbricht-Pieren, Vizepräsidentin der SVP und Leiterin einer privaten Kindertagesstätte. Der Staat solle sich nicht weiter einmischen. «Ja nicht zu viel Staat.» Das würde den Markt kaputt machen und das Niveau der Betreuung gegen unten nivellieren. Mehr Flexibilität wäre aber sicher auch von Unternehmen gefordert, sagt sie. Aber ebenfalls von den Familien selbst: «Ich denke, es ist wirklich der freie Entscheid auch der jungen Familien, sich bewusst für Beruf und Familie zu entscheiden und vielleicht mit der Karriere einen Schritt zurückzustehen, damit dann auch genügend Zeit für das Familienleben, für die Kinder bleibt.»
Gleich viel Lohn für die gleichen Jobs
Diversity-Expertin Gudrun Sander von der Universität Sankt Gallen findet dagegen: Es muss mehr geschehen, um arbeitende Mütter zu fördern. Mehr und günstigere Betreuungsangebote allein würden aber nicht reichen, betont sie. «Was wir nicht vergessen dürfen, sind gleiche Löhne. Das wirklich auch durchzusetzen, dass beide Geschlechter für gleichwertige und gleiche Jobs gleich viel verdienen.» Was ja im Gleichstellungsgesetz bereits seit 1981 verankert sei. Doch der allergrösste Hebel, um arbeitende Frauen mit Kindern zu unterstützen, seien die Väter selbst, sagt Sander. «Das allerwichtigste ist, dass die Verteilung der unbezahlten Arbeit besser auf beide Geschlechter verteilt wird.» Die Sotomo-Umfrage zeigt, dass der Weg dahin noch lang ist. Wenn Frauen ihr Arbeitspensum reduzieren, dann wegen der Kinderbetreuung. Wenn Männer reduzieren, dann oft, um mehr Freizeit zu haben. Auch die Basler Bauingenieurin und dreifache Mutter Salomé Hug wünscht sich mehr Engagement der Väter bei der Kinderbetreuung. «Seitens des Staates dürfte der Druck gerne noch steigen», sagt sie. Der neue, zweiwöchige Vaterschaftsurlaub sei daher ein wichtiges Signal in die richtige Richtung. Ein Signal, dass auch noch mehr von der Privatwirtschaft ausgehen müsste, findet sie. Ihr eigenes Unternehmen hat den Vaterschaftsurlaub daher gerade freiwillig auf vier Wochen verlängert.
Weiterlesen - ein Beitrag von Maren Peters erschienen am 16.11.2021 auf www.srf.ch