Soziologin: «Frauen schieben eigentlich doppelte Schichten»

Ständig zuständig. Ständig darauf bedacht, sich um alles und alle zu kümmern: So sieht der Alltag der modernen Frau aus. Hiess es früher «Küche, Kinder, Kirche», so gilt heute: Haushalt, Home-Office und Harmonie.

Dieser Alltagsstress bei Frauen ist allerdings politisch. Zumindest lautet so die These in Franziska Schutzbachs neuem Buch «Die Erschöpfung der Frauen – Wider die weiblichen Verfügbarkeit». Im Gespräch erklärt Schutzbach, inwiefern die Erschöpfung bei Frauen mit Geschlechterrollen und gesellschaftlichen Machtverhältnissen zu tun hat.

Franziska Schutzbach, erschöpft sind ja viele. Sie aber haben ein Buch speziell über die Erschöpfung der Frauen geschrieben. Warum?

Frauen – weltweit, und auch in der Schweiz – übernehmen noch immer den Löwenanteil der so genannten Care-Arbeit. Das ist die Sorgearbeit in Familien und Haushalt. Ungefähr 75 Prozent dieser Arbeit wird von Frauen übernommen. Gleichzeitig sind Frauen zunehmend erwerbstätig. Das führt zu einer grundlegenden Erschöpfung, weil Frauen eigentlich doppelte Schichten schieben.

Ich denke manchmal, wenn ich Kinder hätte, wäre ich am liebsten ein traditioneller Vater. Das scheint mir viel bequemer.

Ja, es lohnt sich, sich vor der Care-Arbeit zu drücken. Man hat dann mehr Zeit für anderes: für die Karriere, für sich selbst.

Andererseits: Männer sterben früher, sind häufiger krank, haben eine höhere Suizidrate. Der Druck auf Männer ist ebenfalls gross. Und: Heute engagieren sich Männer deutlich mehr in den Familien als noch vor 30 Jahren.

Ja, die Leistungsgesellschaft setzt uns allen zu. Und ja: Es hat Fortschritte gegeben. Aber die Zahlen sprechen für sich. In der Schweiz wird in heterosexuellen Familien mit Kindern ungefähr 80 Prozent der Care-Arbeit von Frauen übernommen. Dies entgegen dem Selbstbild vieler Paare, die von sich behaupten würden, dass sie die Care-Arbeit einigermassen fair aufgeteilt hätten. Ich nenne das den Mythos der bereits erreichten Arbeitsteilung. Oder um es mit Soziologe Ulrich Beck zu sagen: «Wir haben es mit einer verbalen Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre zu tun.»

Frauen arbeiten aber nun mal eher Teilzeit und Männer Vollzeit. Dann ist es ja klar, dass Frauen dafür mehr daheim übernehmen.

Ja, wobei das nicht unproblematisch ist. Stichwort Altersvorsorge. Aber auch in Ländern, wo viel mehr Frauen Vollzeit arbeiten, ist es trotzdem noch so, dass sie zusätzlich den Löwenanteil der unbezahlten Care-Arbeit übernehmen. Eben, diese zweite Schicht.

Wobei diese «zweite Schicht», die Arbeit zu Hause, nicht wirklich als Arbeit wahrgenommen wird.

Es gibt immer noch diese uralte Zuschreibung, dass Frauen von Natur aus fürsorglicher seien, von Natur aus diese Arbeiten gerne erledigen. Davon profitiert letztlich unsere Wirtschaft. Wenn wir behaupten, Frauen erledigen all diese Aufgaben einfach aus Liebe, dann können wir auch weiterhin erwarten, dass sie diese Arbeit gratis erledigen. Oder wenn man sie schon bezahlen muss – in so genannten Care-Berufen, wie die Pflege – dann wenigstens mit einem tiefen Lohn. Das hat historische Gründe. Zugespitzt gesagt: Frauen pflegen ja gerne, das ist Entschädigung genug.

Weiterlesen - ein Beitrag von Franziska Schutzbach erschienen am 18.11.2021 auf www.srf.ch

 

 

 

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