Was brauchen Seniorinnen und Senioren in der Schweiz? Barrierefreie Zugänge allein reichten nicht, sagen zwei Fachleute – und erklären, wie ein Umzug im Alter attraktiver wird.
Eine neue Studie des Immobilienberaters Wüest Partner rückt den enormen Bedarf an kleinen, barrierefreien Wohnungen für die neue Seniorengeneration in der Schweiz in den Fokus. Für den Direktor des Bundesamts für Wohnungswesen, Martin Tschirren, ist das keine Überraschung. Er und seine Expertin Marie Glaser befassen sich damit schon länger.
Braucht es bis 2040 wirklich 400’000 zusätzliche altersgerechte Wohnungen in der Schweiz?
Martin Tschirren: Die Grössenordnung dürfte stimmen. Der heutige Wohnungsmarkt ist ungenügend auf die demografische Entwicklung vorbereitet. Deswegen trifft die Aussage zu, dass es mehr Wohnungen für Seniorinnen und Senioren braucht.
Heisst das, es soll nun nur für die ältere Generation gebaut werden und nicht für junge Singles oder Familien?
Marie Glaser: Wegen der hohen Nachfrage braucht es mehr Wohnungen, die im Idealfall so ausgestaltet sind, dass sie für alle passen. Eine altersgerechte Wohnung zeichnet sich etwa durch barrierefreie Zugänge und Treppenhäuser mit Aufzügen aus. Das aber ist nicht nur für ältere Menschen, sondern auch für Familien wichtig. Zu einer altersgerechten Wohnung gehört auch, dass sie erschwinglich ist, denn Pensionierte verfügen in der Regel nur noch über 60 Prozent ihres Erwerbseinkommens. Über günstige Wohnungen freuen sich aber natürlich auch Junge.
Tschirren: Nur gruppenspezifische Angebote zu erstellen, ist nicht der richtige Weg. Denn die Versorgung mit Wohnraum ist ein System, das in Bewegung ist und flexibel sein muss.
Die Babyboomer besitzen fast die Hälfte der Einfamilienhäuser in der Schweiz. Die Häuser sind nicht nur gross, sondern meist auch nicht altersgerecht. Denken Sie, es kommt eine Umzugswelle auf uns zu?
Glaser: Das ist nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa ein Thema. Ältere Menschen sind oft mit ihrer Wohnsituation zufrieden und stark mit ihrem Wohnort verbunden. Ein Umzug steht deshalb meist nicht zuoberst auf der Prioritätenliste. Wenn es aber altersgerechte Angebote in der Umgebung gibt, könnte es für sie attraktiv werden, die zu gross gewordene Wohnung zu verlassen.
Tschirren: Dann kann die Wohnkaskade wieder in Gang kommen: Ältere Menschen, deren Kinder ausgeflogen sind, wechseln in kleinere Wohnungen, und Junge rücken in deren grössere Wohnungen nach.
Das heisst, es braucht altersgerechte Wohnungen in bestehenden Quartieren und nicht auf der grünen Wiese?
Glaser: Genau, es geht nicht per se um Neubauten. Wir brauchen sie vor Ort, also im Bestand. Das ist die grosse Herausforderung. Zudem ist auch wichtig, dass das Quartier barrierefrei ist und die nötigen sozialen Einrichtungen aufweist. Damit können ältere Menschen so lange wie möglich ausserhalb einer Pflegeeinrichtung leben.
Selbst wenn man im Quartier bleiben kann, ist Umziehen im Alter immer schwer, vor allem wenn man den eigenen Besitz aufgibt. Deswegen bleiben ältere Menschen in ihren zu grossen Häusern und Wohnungen und verbrauchen damit mehr Wohnfläche.
Tschirren: Wir haben bereits 2016 eine Studie in Auftrag gegeben, die verschiedene Instrumente zur Steuerung des Wohnflächenverbrauchs analysiert. Diese reichen von der Umzugsberatung über eine wohnflächenabhängige Besteuerung bis hin zu einer Beschränkung der Eigentumsverfügbarkeit. Diese weitergehenden Instrumente wären mit starken Eingriffen in die persönliche Freiheit verbunden, die kaum mehrheitsfähig wären.
Für viele lohnt sich ein Umzug jedoch finanziell nicht, denn die Angebotsmieten oder Preise für Eigentumswohnungen sind hoch.
Tschirren: Das ist tatsächlich eine weitere Herausforderung. Gemeinden können in der Nutzungsplanung Quoten für gemeinnützigen oder preisgünstigen Wohnraum vorsehen. An vielen Orten entstehen gemeinnützige Wohnbauträger – Genossenschaften, Stiftungen – für altersgerechtes Wohnen. Der Kanton Neuenburg zum Beispiel sieht im Richtplan vor, dass die Gemeinden entsprechend ihrer Altersstruktur für altersgerechten Wohnraum sorgen müssen.
Weiterlesen - ein Beitrag von Isabel Strassheim erschienen am 24.10.2025 im Tages-AnzeigerAbonnieren Sie unseren vierteljährlich erscheinenden Newsletter, um über Neuigkeiten, Initiativen und Veranstaltungen zur Familienpolitik und zu Instrumenten zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erfahren.
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