Kinderwunsch und Realität klaffen auseinander

Frauen in der Schweiz haben im Durchschnitt weniger Kinder als gewünscht. Die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist bei Gutausgebildeten besonders gross. Im Jahr 2023 betrug die Geburtenziffer in der Schweiz 1,33 Kinder pro Frau. Der Kinderwunsch ist seit den 1990er-Jahren von einer 2-Kind-Norm geprägt. Vor allem tertiär gebildete Frauen haben weniger Kinder als gewünscht und bleiben auch besonders häufig kinderlos.

In der Schweiz sind 2,1 Kinder pro Frau nötig, damit die Anzahl geborener Mädchen in der Kindergeneration gleich gross ist wie die Anzahl der Frauen in der Elterngeneration. Seit 1970 wurde diese Schwelle nicht mehr erreicht: Die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau schwankte seither lange um 1,5 und lag 2023 bei 1,33. Dies bedeutet, dass die Elterngenerationen seit 1970 zahlenmässig nicht mehr durch die Kindergenerationen ersetzt wurden. Ohne den positiven Wanderungssaldo (die Differenz zwischen Einwanderungen und Auswanderungen) hätte diese Entwicklung in der Schweiz die demografische Alterung weiter stark beschleunigt und zu einem Stopp des Bevölkerungswachstums geführt.

Lücke zwischen Wunsch und Realität

Eine Untersuchung von Eva Beaujouan und Caroline Berghammer (2019) zeigt: Mitte der 1990er-Jahre deklarierten 20- bis 24-jährige Frauen (Jahrgänge 1970 bis 1977), dass sie sich im Durchschnitt 2,25 Kinder wünschen (siehe Grafik 2). Betrachtet man 2013, also rund 20 Jahre später, die gleiche Kohorte der nun 40- bis 42-jährigen Frauen, brachten sie durchschnittlich jedoch nur 1,64 Kinder zur Welt. Auch wenn aus demografischer Sicht noch neun fruchtbare Jahre bleiben, liegt die beobachtete Kinderzahl doch entscheidend unter der gewünschten Kinderzahl. Diese Lücke zwischen tatsächlicher und gewünschter Kinderzahl (–0,61 Kinder) ist im europäischen Vergleich eine der grössten. Nur Italien (–0,66), Griechenland (–0,71) und Spanien (–0,75) verzeichnen eine noch grössere Diskrepanz. Die kleinste Lücke weist Frankreich (–0,12) auf, mit einem Kinderwunsch von 2,14 Kindern je Frau, aber einer hohen realisierten Kinderzahl von durchschnittlich 2,02 Kindern je Frau. Grundsätzlich gilt jedoch europaweit: Frauen haben weniger Kinder, als sie sich wünschen. Ob aufgrund eines zu langen Aufschubs oder weil sie ihre Meinung revidierten, einige Frauen blieben kinderlos: 19,4 Prozent der Frauen der genannten Kohorte in der Schweiz haben keine Kinder, obwohl knapp 20 Jahre zuvor nur 7 Prozent angaben, dass sie keine möchten (siehe Grafik 3).

Je besser die Bildung, desto weniger Kinder

Bei den von Beaujouan und Berghammer untersuchten 25- bis 29-Jährigen gibt es, was den Kinderwunsch anbelangt, kaum Unterschiede nach dem Bildungsstand. Allerdings haben Frauen mit einem Tertiärabschluss durchschnittlich weniger Kinder als Frauen mit einem niedrigen Bildungsabschluss. Entsprechend weisen Frauen mit Tertiärabschluss die grösste Lücke zwischen tatsächlicher und gewünschter Kinderzahl auf (–0,9 Kinder). Im europäischen Umfeld ist dies sogar der höchste festgestellte Wert. Auch was die Kinderlosigkeit betrifft, haben Frauen mit hohem Bildungsstand in der Schweiz häufiger keine Kinder (29%) als Frauen mit mittlerem (18%) oder tiefem Bildungsstand (14%). Und im europäischen Vergleich weisen nur tertiär gebildete Frauen in Italien mit 30 Prozent einen knapp höheren Anteil auf. Der von Beaujouan und Berghammer gewählte Ansatz hat auch Grenzen. So zogen die Autorinnen verschiedene Datenquellen für die Messung der Intentionen und die der erreichten Kinderzahl bei. Es können also keine direkten Aussagen über die Umsetzung der Absichten auf individueller Ebene gemacht werden. Ausserdem hängt die Messung der individuellen gewünschten Gesamtzahl Kinder stark von der aktuellen Situation der befragten Person ab und ist durch soziale Normen beeinflusst. Intentionen variieren auch nach persönlicher Situation im Lebensverlauf und somit mit dem Alter. Während 7 Prozent der 20- bis 24-jährigen Frauen Mitte der 1990er-Jahre deklarierten, keine Kinder zu wollen, waren es im gleichen Jahr bei den 25- bis 29-jährigen Frauen weniger als 5 Prozent.

Alter bei der Erstgeburt steigt

Ein Erklärungsansatz für die nicht erfüllten Intentionen ist die lange Ausbildungszeit und somit der späte Arbeitsmarkteintritt. Mit dem zweiten demografischen Übergang ab Mitte der 1960er-Jahre ging eine Veränderung der Werte und Lebensziele hin zu einem wachsenden Individualismus, neuen Familienformen und einer durch die Pille ermöglichten selbstbestimmten Empfängnisverhütung einher. Das Durchschnittsalter der Frauen bei der Erstgeburt stieg seit 1970 kontinuierlich an, im Durchschnitt um 1,5 Monate pro Jahr. Lag es 1971 für verheiratete Frauen bei 25,3 Jahren (es liegen für diesen Zeitpunkt keine Auswertungen für Unverheiratete vor), belief es sich 2022 auf 31,2 Jahre für alle Frauen (BFS online). Am ältesten sind tertiär gebildete Mütter. Klar scheint: Je später die erste Geburt erfolgt, desto weniger fruchtbare Jahre verbleiben für weitere Kinder. Und je länger gewartet wird, desto grösser ist das Risiko einer ungewollten Kinderlosigkeit.

Kinderwunsch: Konstante 2-Kind-Norm

Im Jahr 2018 war der Kinderwunsch weiterhin von der 2-Kind-Norm geprägt (BFS 2021): Rund 60 Prozent der kinderlosen Frauen und Männer zwischen 20 und 29 Jahren wünschten sich zwei Kinder, rund ein Viertel wünschte drei oder mehr Kinder, 9 Prozent wollten keine Kinder, und 4 Prozent wünschten sich ein Kind. Aggregiert streben die Befragten 2,1 Kinder an – was genau dem demografischen Wert entspricht, den es für den Ersatz der Elterngeneration braucht. Kurzfristig ist der Kinderwunsch stark kontextabhängig. Eine wichtige Rolle spielen dabei die finanziellen Ressourcen der Haushalte, also die materiellen Ressourcen einerseits und die wahrgenommene wirtschaftliche Ungewissheit andererseits, sowie der soziale Kontext. Comolli (2023, Erhebung zum Zusammenleben in der Schweiz) zeigt, wie diese Faktoren den Wunsch von 20- bis 29-Jährigen, in den nächsten 24 Monaten ein (weiteres) Kind zu haben, prägen. So waren junge, kinderlose Personen durch die Rezession im Jahr 2008 einer grösseren wirtschaftlichen Unsicherheit ausgesetzt als Eltern. Dies zeigt sich in weniger Erstgeburtenabsichten. Während der Covid-19-Pandemie hingegen äusserten vor allem Eltern, als Reaktion auf das negativere und unberechenbarere gesellschaftliche Umfeld, in geringerem Mass einen – weiteren – Kinderwunsch.

Umsetzung des Kinderwunschs: Qualität der Beziehung entscheidend

25- bis 39-jährige kinderlose Personen, die einen Kinderwunsch hegen, nennen am häufigsten die Qualität der Beziehung (74%) als starken oder sogar sehr starken Einflussfaktor für den Entscheid, in den nächsten drei Jahren ein Kind zu bekommen (BFS, Erhebung zu Familien und Generationen 2018). Auch der Gesundheitszustand der Partnerin/des Partners (65%) und die finanzielle Situation (63%) spielen eine entscheidende Rolle. Weiter genannt wurden die Wohnverhältnisse (48%), die Kinderbetreuungsmöglichkeiten (47%), die Arbeitsbedingungen (45%) und das eigene Alter (41%). Die Aufteilung der Kinderbetreuung (33%) und der Hausarbeit (22%) hingegen scheint weniger wichtig für den Entscheid zu sein. Auch hier sehen wir Unterschiede nach Bildungsstand: Frauen mit einem Tertiärabschluss messen, mit Ausnahme der Wohnverhältnisse (44%), allen genannten Aspekten eine grössere Bedeutung bei. Vor allem das eigene Alter (57%), die Kinderbetreuungsmöglichkeiten (57%) und die Aufteilung der Kinderbetreuung (42%) sind für sie häufiger ausschlaggebend für den Entscheid, ein Kind zu bekommen. Zudem befürchten drei Viertel von ihnen negative Auswirkungen auf ihre Berufsaussichten – auch dieser Wert liegt deutlich über dem Durchschnitt von 50 Prozent aller befragten Frauen. Noch nicht erforscht für die Schweiz ist der Zusammenhang von Klimasorgen und Fertilitätsintentionen. Eine neue Studie zu Finnland, Estland und Schweden (Bastianelli 2024) zeigt, dass Personen, die sich grosse Sorgen um den Klimawandel machen, eher die Absicht haben, kinderlos zu bleiben. Die Autorin findet jedoch keinen Zusammenhang mit der geplanten Gesamtzahl von Kindern. Diese Ergebnisse scheinen besonders von den Altersgruppen der 18- bis 24-Jährigen und der 25- bis 34-Jährigen beeinflusst zu werden, während sich kein klares Muster für die verschiedenen Bildungsniveaus abzeichnet.

Sozialpolitische Massnahmen

Während der Beziehungsstatus und die Beziehungsqualität nicht von staatlicher Seite beeinflussbar sind, können sozialpolitische Anpassungen zu einer verbesserten Vereinbarkeit von Privat- und Arbeitsleben führen. Einerseits bieten sich ein Ausbau und eine Vergünstigung der institutionellen Kinderbetreuungsmöglichkeiten an. Andererseits würden es neue Arbeitsmodelle mit kürzeren und flexibleren Arbeitszeiten vereinfachen, die Kinderbetreuung innerfamiliär wahrnehmen zu können. Dies würde es Müttern wie auch Vätern erlauben, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Die verbesserte Vereinbarkeit käme vor allem tertiär gebildeten Frauen zugute. Die Lücke zwischen tatsächlicher und gewünschter Kinderzahl ist bei ihnen am grössten, nicht etwa weil ihr Kinderwunsch weniger ausgeprägt wäre als jener von Frauen mit tieferem Ausbildungsniveau, sondern weil sie weniger Kinder und häufiger auch gar keine Kinder haben. Im Jahr 2018 waren 31 Prozent der 50- bis 59-jährigen tertiär gebildeten Frauen kinderlos – im Vergleich zu 20 Prozent der Frauen mit einem Abschluss der obligatorischen Schule oder der Sekundarstufe II (BFS 2021). Tertiär gebildete Männer scheinen übrigens nicht die gleichen Hürden zu haben: Ihre tatsächliche Kinderzahl unterscheidet sich kaum von der von Männern mit tieferem Bildungsstand. Sicher ist: Der Ersatz der Elterngenerationen wird auch in den kommenden Jahren nicht erreicht werden. Aufgrund des Trends des steigenden Alters bei der Erstgeburt scheint bereits eine Erhöhung auf 1,6 Kinder je Frau aktuell wenig realistisch. Es stellt sich eher die umgekehrte Frage, wie tief die Zahl sinken wird. Denn der neueste Rückgang ist ein generalisierter europäischer Trend. Dies bedeutet, dass wir uns an diese demografische Realität mit einer tiefen Fertilität und der damit einhergehenden Alterung gewöhnen und unsere Gesellschaft und Sozialpolitik daran ausrichten müssen.

Weiterlesen - ein Beitrag von Ilka Steiner erschienen auf sozialesicherheit.ch

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