Grosse Familien werden zur No-go-Zone: Das Besuchsverbot betrifft mehr als eine Million Menschen

Ab Montag dürfen Familien und Haushalte ab fünf Personen niemanden mehr einladen. Dies sei eine der wichtigsten Massnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus, sagt ein Mitglied der Covid-19-Taskforce.

Manche Politiker sagen es nur unter vorgehaltener Hand. Andere sprechen es offen aus. Zum Beispiel Marcel Dettling, Mitglied des Parteileitungsausschusses der SVP. «Man merkt, dass die Mehrheit der Bundesräte keine Kinder haben. Sie wissen nicht, was eine Abschottung für die Familien bedeutet.» Als dreifacher Vater ist der Schwyzer SVP-Nationalrat direkt betroffen von einer Regel, die ab nächstem Montag gilt: Haushalte mit fünf und mehr Personen dürfen bis Ende Februar keinen Besuch mehr empfangen.

Das prominenteste «Opfer» dieser Massnahme ist Alain Berset. «Ich weiss genau, was das bedeutet. Mit drei Kindern haben wir keine Kontakte mehr in den nächsten Wochen. Das ist hart, aber es ist so», sagte der Gesundheitsminister am Mittwoch.

Bis anhin durften sich im privaten Rahmen zehn Personen treffen. Dem Vernehmen nach setze sich Berset für den Status quo ein. Doch offenbar brachte tatsächlich ein Ratsmitglied ohne Nachwuchs die 5er-Regel durch. Anders als während des Lockdowns im Frühling werden Kinder mitgerechnet. Bestehen bleibt die Empfehlung, dass sich bloss Personen aus zwei Haushalten treffen sollen.

Es ist also nicht die Zeit für Kindergeburtstagspartys und Briobahnnachmittage. Wer mit mehreren Geschwistern aufwächst, kann nur noch dann in der Wohnung mit Freunden spielen, wenn gleichzeitig genügend Geschwister und/oder die Eltern ausser Haus weilen. Wobei: Die Homeoffice-Pflicht wird die Präsenz Letzterer erhöhen.

Sozialleben wird eingeschränkt zu Gunsten der Virusbekämpfung

Die 5er-Regel betrifft in der Schweiz knapp 216000 Haushalte, wie ein Blick auf Zahlen des Bundesamtes für Statistik zeigt. Das entspricht zwar nur 5,7 Prozent aller Haushalte, doch darin leben immerhin fast 1,2 Millionen Menschen. Zu Gunsten der Pandemiebekämpfung müssen sie ihr Sozialleben stärker einschränken als Personen, die in kleineren Haushalten leben,

Entsprechend rege und kontrovers wird die Massnahme in den sozialen Medien diskutiert. «Bisschen nervts mich, dass wir als 5-köpfige Familie bis Ende Februar niemanden treffen dürfen (nicht mal Verwandte) und die Skiparty in der Bergen weiterrollt», schrieb ein Vater auf Twitter. Es sei schwer nachvollziehbar, dass Kinder mitgezählt würden, das erschwere vieles bei der Organisation eines coronakonformen Alltags. Die Aargauer Nationalrätin Marianne Binder (Die Mitte) wies darauf hin, dass sich das Leben für Patchworkfamilien verkomplizieren könnte.

Die meisten Ansteckungen mit bekanntem Ursprungsort geschehen im familiären Umfeld. Erschweren könnte die neue Restriktion deshalb auch das Leben des Coronavirus. Oder besser: dessen Ausbreitung. Davon überzeugt ist Nicola Low, Professorin für Epidemiologie an der Universität Bern und Mitglied der Covid-19-Taskforce des Bundes.

«Diese Regel macht sicher Sinn», sagte sie gegenüber dem Schweizer Radio und Fernsehen. Sie halte sie tatsächlich für eine der wichtigsten Massnahmen. Im privaten Rahmen komme es – anders als etwa in Schulen mit Schutzkonzepten – öfter zu näheren Kontakten. «Es geht darum, die Kontakte dort zu beschränken, wo es keine Schutzkonzepte gibt.» Wenn sich die Leute wirklich nur im engsten Kreis treffen würden, habe das Virus weniger Gelegenheit, sich zu übertragen.

Interessenvertreter von Familien reagieren relativ gelassen auf die neue Einschränkung. «Die Gesellschaft als Ganzes erlebt eine sehr schwierige Situation», sagt Philippe Gnaegi, Direktor von Pro Familia. Im Vergleich zum vergangenen März befänden sich die Familien aber in einer besseren Ausgangslage. «Die Schulen und die Kindertagesstätten bleiben flächendeckend geöffnet.» Zudem seien die Massnahmen befristet. Und mit dem Impfstart bahne sich langsam ein Licht am Ende des Tunnels an.

Nationalrat Candinas akzeptiert Regel «zähneknirschend»

Martin Candinas, Bündner Mitte-Politiker und dreifacher Familienvater, hätte die 5er-Regel zwar nicht erlassen. «Ich muss sie aber zähneknirschend akzeptieren», sagt er, der in den nächsten Wochen niemand bei sich zu Hause begrüssen darf. Er werde seinen Kindern im Schulalter nicht verbieten, mit Freunden zu spielen. «Selbstverständlich im Freien», ergänzt Candinas. Da er als Nationalrat oft in Bern weilt, eröffnet sich für seine Kinder immerhin zwischendurch die Möglichkeit, mit einem Gspänli in den geheizten vier Wänden zu spielen. «Insofern bin ich ein Glücksfall für meine Familie», sagt Candinas mit einem Augenzwinkern. Das gleiche Fazit gilt wohl auch für Alain Berset. Als oberster Virenbekämpfer des Landes dürfte der SP-Politiker mehr Zeit unter der Bundeskuppel verbringen als im trauten Heim im Kanton Freiburg.

Weiterlesen - ein Beitrag von Kari Kälin erschienen in der Aargauer Zeitung vom 15.01.2021

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