Scheidungskinder – jetzt kommt die Fifty-Fifty-Regel

Der Nationalrat will, dass Kinder bei beiden Elternteilen gleich viel Zeit verbringen. Das sei im Interesse des Kindes. Doch nicht alle sehen das so. Trennungskinder sollen gleich viel Zeit bei Vater und Mutter verbringen. Der Nationalrat will das ins Gesetz schreiben. Das hat der Nationalrat im Herbst mit sehr deutlicher Mehrheit entschieden. Bald geht der Vorstoss in den Ständerat. Widerstand kommt aus der SP und vom Bundesrat. Jeder Fall müsse einzeln geprüft werden, sagen sie.

Wenn Eltern sich trennen, leben Kinder heute oft bei der Mutter und haben Besuchszeiten beim Vater. Der Nationalrat will das ändern. Er hat Ende September eine Motion des Tessiner Mitte-Nationalrats Marco Romano überwiesen. Sie verlangt vom Bundesrat, die alternierende Obhut als neue Norm ins Gesetz zu schreiben. Dabei betreuen Vater und Mutter die Kinder zu gleichen oder annähernd gleichen Teilen. Die Kinder pendeln zwischen Vater und Mutter und leben mit beiden den Alltag. 

Laut Bundesgerichts-Entscheid von Ende 2020 müsste dies heute schon der Fall sein. Die alleinige Obhut sei nur anzuordnen, wenn konkrete Gründe gegen die alternierende Obhut sprächen, befand das höchste Gericht. Doch untere Gerichtsinstanzen halten sich nicht immer daran. Und so haben manche Väter das Nachsehen, weil sie bei der Kesb oder vor dem Bezirksgericht abblitzen.

«Individuelle Eltern-Interessen müssen hinten anstehen»

«Kinder haben das Recht, mit Vater und Mutter und der jeweiligen Verwandtschaft gleich viel Zeit zu verbringen. Dieses Recht der Kinder geht den individuellen Elterninteressen vor», sagt Marco Romano, der per Ende Jahr zurücktritt. Deshalb müsse die alternierende Obhut als Regelfall ins Zivilgesetzbuch, wie vor zehn Jahren das gemeinsame Sorgerecht. Gleichstellungspolitisch sei das ein logischer Schritt, doch er werde genau von jenen Kreisen bekämpft, die Gleichstellung von Mann und Frau sonst förderten, sagt der Tessiner. «Auf linker Seite herrscht die fixe Idee vor, dass die Mutter Kinder besser betreuen kann als der Vater. Das macht mir Bauchweh.» Auch gebe es Richter, welche die alternierende Obhut einem Vater verweigerten mit der Aufforderung, er könne ja vor das Bundesgericht gehen. Eine Gesetzesänderung würde dem Streit vieler Eltern entgegenwirken, glaubt Romano. «Gerichtsverfahren, die einzig darauf aus sind, einen Elternteil zu delegitimieren und ihn zum Wochenend- und Zahlvater zu machen, würden überflüssig.» 

Der Vorstoss ist vom Nationalrat mit 112 zu 42 Stimmen sehr deutlich angenommen worden, bald behandelt ihn die Ständeratskommission. Am meisten Widerstand kommt von der SP. Yvonne Feri, SP-Nationalrätin und Präsidentin von Kindesschutz Schweiz, begründet: «Das zuständige Gericht oder die Kesb müssen alle Umstände abwägen, bevor sie eine Entscheidung über die alternierende Obhut treffen.» Jeder Fall müsse einzeln geprüft werden und das Kind habe das Recht auf Mitsprache. Ausserdem müssten sich die Väter schon während der Beziehung mehr an der Kindererziehung beteiligen, dann werde ihnen das auch nach der Trennung zugestanden. Es brauche ein Umdenken aller, dann komme die alternierende Obhut automatisch.

Auch der Bundesrat ist dagegen. In der Verwaltung laufen derzeit mehrere Projekte zur besseren Umsetzung der alternierenden Obhut. So wird etwa geprüft, ob die unteren Gerichtsinstanzen die neue Praxis des Bundesgerichts auch tatsächlich umsetzen. Lösungen seien unterwegs, versprach Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider Ende September im Nationalrat – brachte damit den Rat aber nicht von einem Ja zur Motion ab.

Kinderanwältin ist skeptisch

Eine Kinderanwältin aus dem Raum Zürich, die nicht namentlich zitiert werden möchte, ist in Bezug auf das Vorhaben gespalten. «Gut finde ich, dass für die Eltern Klarheit geschaffen und die Bundesgerichtspraxis einer breiten Öffentlichkeit bekannt wird.» Andererseits verlange man von Kindern etwas, das Erwachsene nie wollen würden: «Wer will schon jede Woche die Koffer packen und den Wohnort wechseln?» Das Betreuungsmodell könne vorteilhaft sein, aber nicht für alle Kinder. «Ich kenne einen Fall, in dem das Kind vom Vater aus eine Stunde Schulweg hat.» 

Weiterlesen - ein Beitrag von Claudia Blumer erschienen am 8.11.2023 auf www.20min.ch

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