Der Schweiz gehen die Arbeitskräfte aus – diese drei Rezepte helfen

Der Arbeitskräftemangel beschäftigt die Schweiz – und er dürfte in Zukunft noch grösser werden. Doch wie soll er behoben werden? Das Chancenbarometer 2023 geht dieser Frage auf den Grund.

Der Arbeitskräftemangel hemmt die Schweizer Wirtschaft – und er ist hausgemacht. Dies zeigt das Chancenbarometer 2023 (siehe Infobox am Artikelende). Denn sowohl Frauen als auch Personen im Vorruhestand und über 65-Jährige wären bereit, deutlich mehr zu arbeiten. Zumindest, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Die repräsentative Untersuchung der Universität St.Gallen hat die Gründe gesucht – und gefunden. Die wichtigsten Erkenntnisse.

Die Kluft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Was macht das Arbeiten in der Schweiz schwierig? Die Frauen sehen die Hürden hauptsächlich in der fehlenden Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Bei den Älteren sind es mangelnde Lohntransparenz und zu wenig flexible Arbeitszeitmodelle. Die Firmen sind neben der Politik gefordert, die Bedürfnisse der Arbeitnehmenden ernst zu nehmen. Jobst Wagner, Präsident der LARIX Foundation und Unternehmer, zeigt die Ergebnisse: «Die Bedürfnisse von Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmern weichen noch zu stark voneinander ab und behindern die Mobilisierung des Arbeitskräftepotenzials der Schweiz.» Studienleiterin Prof. Tina Freyburg sieht den aktuellen Engpass an Arbeitskräften als grosse Chance, die Arbeitswelt zu modernisieren: «Mit fast 50 Prozent wird ein grosses Potenzial für positive Veränderungen gesehen. Aber auch ein sehr grosser Handlungsbedarf, der sich stark auf fehlende Familienvereinbarkeit bezieht.» So ist die HSG-Professorin überzeugt: Parteien, welche in den kommenden Parlamentswahlen für verbesserte Arbeitsbedingungen einstehen, verbessern ihre Wahlchancen.

Männer und Frauen haben unterschiedliche Prioritäten

Die Prioritäten bei der Arbeitsstelle sind zwischen Männern und Frauen unterschiedlich. Die Hauptpriorität der Frauen liegt darauf, dass sie Teilzeit arbeiten können und die Löhne transparent sind. Männer wollen Vollzeit arbeiten und Aufstiegschancen sehen.

Was gegen Vollzeitarbeit spricht

Da das Arbeitspensum bei Männern und Frauen die höchste Priorität besitzt, schauen wir uns an, was denn die Gründe für Teilzeitarbeit sind. Auch hier stellen wir deutliche Unterschiede fest. Rund zwei Drittel der Männer wählen Teilzeitarbeit, um sich selbst etwas Gutes zu tun oder in die Zukunft zu investieren. Bei Frauen sind dies nur für rund 25 Prozent der Teilzeitarbeitenden die Gründe. Hauptgrund bei Frauen ist klar die (fehlende) Vereinbarkeit von Familie und Arbeit.

Warum Rentner weiter arbeiten würden

Weiter bestätigt das Chancenbarometer, dass sich ältere Arbeitnehmende gerne weiterhin im Erwerbsleben engagieren, wenn ihre Tätigkeit zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen beiträgt. Allerdings erwarten auch die Älteren eine Flexibilisierung und Individualisierung der Arbeit. Weiter sollte Lohntransparenz gegeben sein, wie die Studie zeigt. Ebenfalls wichtig für Menschen, die wegen der Freizeit im Vorruhestand sind, sind Gleitzeitmöglichkeiten und die Entlastung bei der Enkelbetreuung.

Was die Jungen wollen

Blicken wir noch auf die letzte Gruppe: die Jungen. Sie wollen alles unter einen Hut bringen: Karriere, Familie und Einstehen gegen den Klimawandel. Tina Freyburg sagt: «Die Firmen werden nicht umhinkommen, sich noch mehr an die Erwartungen der jüngeren Generationen anzupassen und sich umfassend mit neuen Arbeitsformen auseinanderzusetzen.» Die höchste Priorität nimmt dabei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein. Unternehmen, die Teile der Betreuungskosten für Kinder übernehmen, werden damit interessant.

Die drei Rezepte

Die Studienleiter kommen zum Schluss, dass drei Punkte die Situation am Arbeitsmarkt verbessern würden. Sie geben diese als Handlungsempfehlung zur Linderung des Arbeitskräftemangels ab:

  • Die Hebel zur wirksamen Mobilisierung identifizieren: Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen müssen ihre gestärkte Position nützen und die Bedürfnisse klar kommunizieren.
  • Den Arbeitskräftemangel zur Modernisierung nutzen: Firmen sollten Massnahmen wie die Teilfinanzierung von Kinderbetreuungskosten und glaubwürdige Nachhaltigkeitsstrategien ergreifen.
  • Die Rahmenbedingungen für mehr Flexibilität schaffen: Politik setzt Anreize, Firmen probieren flexiblere Arbeitsmodelle aus und Fehlanreize (zum Beispiel durch die zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung) werden korrigiert.
Daten und Quellen
 
Der vierte Schweizer Chancenbarometer der LARIX Foundation und der Universität St.Gallen wurde am 29. September 2023 publiziert. Schwerpunkt der repräsentativen Untersuchung von Projektleiterin Prof. Dr. Tina Freyburg ist das inländische Lösungspotenzial zur Bekämpfung des Arbeitskräftemangels. Die Befragungen für den Chancenbarometer 2023 wurden zwischen dem 5. Mai und 5. Juni 2023 durchgeführt, auch wir bei watson.ch riefen dazu auf. Mitgemacht haben 3842 Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz ab 15 Jahren. Alle Angaben sind anpassungsgewichtet nach soziodemografischen Merkmalen (Alter, Geschlecht, Sprache, Kanton, Siedlungsart, Bildung, Partei) zur möglichst repräsentativen Abbildung der Bevölkerung. Unter der Annahme einer Zufallsstichprobe beträgt der maximale Fehlerbereich +/– 1,5 Prozentpunkte (bei 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit).
 
Weiterlesen - ein Beitrag von Reto Fehr erschienen am 29.09.2023 auf www.watson.ch

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