Der Preis für Kind und Karriere

Von wegen Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Noch immer müssen sich arbeitende Frauen mit Kindern anhören, sie seien schlechte Mütter oder unprofessionell im Job.
 
«Die verdammte Fiktion dieser Vereinbarkeit beginnt schon dort», sagt Denise Petrikat (41) und wirft die Hände in die Luft. Mit «dort» meint die Grafikerin die Schwangerschaft. Als sie ihre Kinder erwartete, musste sie gleichzeitig Geld sparen, damit sie sich einen längeren Mutterschaftsurlaub leisten konnte. «Gleichzeitig wird im Job die gleiche Leistungsfähigkeit erwartet und unterschwellig vermittelt, dass man Arzttermine bitte schön nach Feierabend wahrnehmen soll. Als wäre man nebenbei noch so ein bisschen schwanger. Aber vielleicht war ich manchmal wirklich müde, weil mein Körper gerade eine Niere baute.»
 
Illusion Gleichberechtigung?
 
«Zwischen 20 und 30 hatte ich das Gefühl, ich sei absolut gleichberechtigt», erinnert sich Silvana Leasi. «Aber wenn die Kinderfrage aufkommt, dann wird das zur Illusion.» Die 41-Jährige politisiert im Grossen Stadtrat Luzern, arbeitet bei der Emmi-Gruppe im Management und hat vor einem Jahr ihren zweiten Sohn zur Welt gebracht. «Kürzlich dauerte ein Meeting bis 18.45 Uhr. Und die Kita schliesst um 18.30 Uhr.» Entweder ist man eine schlechte Mutter oder eine unprofessionelle Arbeitnehmerin; der Clinch ist allgegenwärtig. «Wo ziehe ich Grenzen? Wo hole ich mir Hilfe? In der Arbeitswelt zu sagen, dass Dinge nicht gehen, braucht Selbstbewusstsein.» Dazu kommt das permanente schlechte Gewissen: «Mein älterer Sohn sagt oft, ich sei nicht da, und die anderen Mamis seien immer da. Dann versuche ich ihm zu erklären, dass er viele Dinge auch machen kann, wenn seine Mutter arbeitet.» Das schlechte Gewissen werde von aussen befeuert.
 
Fragen, die Männer nie hören
 
Silvana Leasi ging 14 Wochen nach der Geburt ihres ersten Kindes wieder zurück ins Büro. «Eine Arbeitskollegin sagte mir, man müsse doch keine Kinder haben, wenn man nie bei ihnen ist.» Eine Erfahrung, die sie geprägt hat: «Es war so unfair, dass man mir zu verstehen gab, dass ich eine schlechte Mutter sei, weil ich meine Familie ernähre.» Ihrem Ex-Mann habe man diese Frage nie gestellt. Auch Denise Petrikat kennt solche Bemerkungen. «In meinem vorherigen Büro waren es Kunden oder Teammitglieder, die es kaum fassen konnten, dass ich 80 Prozent arbeite. Als ich jedoch einmal zu Hause bleiben musste, um für meine Tochter zu sorgen, die Windpocken hatte, rollte man die Augen.»

 

Lieber selbständig

Seit Juli arbeitet Petrikat selbständig und baut mit «Mamahanna» als sogenannte Doula ein Begleitangebot für Frauen nach der Geburt auf. «Die Selbständigkeit ist immer noch schwierig, aber ich muss mich nicht mehr ständig gegenüber Vorgesetzten erklären oder meine Kinder verstecken.» Ihr Mann Patrick (34) arbeitet ebenfalls 80 Prozent, rechtfertigen muss er sich nie. «Wir Mütter sollen hingegen arbeiten, als hätten wir keine Kinder, und Kinder grossziehen, als würden wir nicht arbeiten.» «Geht mein Partner am Samstag mit den Kindern einkaufen und entsorgt noch Glas, wird er gelobt. Wir Frauen machen alles Mögliche, und es ist selbstverständlich. Das ist für mich keine Gleichstellung», sagt auch Silvana Leasi.

Einsam mit Kind

Das Leben als berufstätige Frau benötigt viel Energie – die nicht immer vorhanden ist. Daniela Huwiler litt fast ein Jahr an einer postpartalen Depression. Ihre Tochter Elena kam mit einem verkürzten Bein zur Welt, die Geburt war schmerzhaft und mit viel Druck verbunden – eine einschneidende Erfahrung. In einer Therapie konnte die junge Mutter das Erlebte aufarbeiten und sich wieder fangen. «Alle fragten, wie es Elenas Beinchen geht, wenige fragten nach mir. Und mein Mann musste abends im Stall arbeiten.» Es ist diese Einsamkeit, von der viele Mütter berichten, die die ersten Monate allein mit den Kindern verbringen. Huwilers Therapeutin riet ihr, etwas nur für sich zu machen. «Ich wusste, dass ich unbedingt wieder arbeiten will. Zurück im Büro bin ich aufgegangen wie eine Blume. Das hat mir so viel gegeben.»

Kein Job bedeutet Verzicht

Heute arbeitet Huwiler in einem Teilzeitpensum bei einer lokalen Firma, die Whirlpools vertreibt. «Viele Mütter in meinem Umfeld opfern sich gänzlich auf, aber ich bin ausgeglichen eine bessere Mutter.» Zudem will sie ihrer Tochter vorleben, wie wichtig es ist, für sich zu schauen. «Andere gehen joggen, ich gehe ins Büro. Dort bin ich Daniela, nicht das Mami oder die Ehefrau.» Hinter ihrer Berufstätigkeit stecken auch finanzielle Motive: «Patricks Lohn allein würde zwar grundsätzlich reichen. Aber Ferien oder spontane Restaurantbesuche wären nicht möglich. Zudem wollen wir den Stall umbauen.» Hinzu kommt ein realistischer Blick in die Zukunft: «Unser Rentensystem ist instabil, und man kann nie darauf zählen, dass eine Beziehung hält. Ich will auf eigenen Beinen stehen können.»

Weiterlesen - ein Beitrag von Anne-Sophie Keller erschienen am 06.01.2023 im Migros Magazin

 

Newsletter


Abonnieren Sie unseren vierteljährlich erscheinenden Newsletter, um über Neuigkeiten, Initiativen und Veranstaltungen zur Familienpolitik und zu Instrumenten zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erfahren.

Archiv

Mit dem Absenden des Formulars bestätige ich, dass ich die Bedingungen in den Privacy policy gelesen und akzeptiert habe.