Oma und Opa dürfen nicht die letzte Rettung sein

Laut einer neuen Studie wird rund die Hälfte der Kinder in Deutschland von den Großeltern mitbetreut – obwohl es immer mehr Plätze in Ganztagsschulen und Kitas gibt. Die Familienpolitik muss endlich zeitgemäße Lösungen finden.

Ganztagsschulen und Kitas sollen Eltern bei der Betreuung und teilweise auch Erziehung ihrer Kinder entlasten. Das ist notwendig, denn klassische Familienstrukturen, in denen die Mutter sich zuhause um den Nachwuchs kümmert und der Vater arbeitet, sind längst überholt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes arbeiten in Deutschland inzwischen über 74 Prozent der Mütter. Zunehmend emanzipieren sich Frauen in der Arbeitswelt, verfolgen eigene berufliche Ziele.

Gleichzeitig können es sich immer weniger Familien leisten, dass nur ein Elternteil arbeitet. Sie sind auf das zweite Gehalt angewiesen und damit auf eine funktionierende Betreuungsstruktur, die Müttern und Vätern den Rücken frei hält und Zeit für wirkliche Erziehungsleistungen erlaubt. Nur so können Eltern in Vollzeit arbeiten, ohne zusätzliche Unterstützung in Anspruch nehmen zu müssen. Auf die können je nach Familiensituation oder finanzieller Lage schließlich lange nicht alle Eltern bauen.

Doch für eine umfängliche Entlastung sorgen Kitas und Ganztagsschulen nach wie vor nicht ausreichend, wie eine aktuelle Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt. Demnach spielen die Großeltern in über der Hälfte der Familien in Deutschland noch immer eine wichtige Rolle bei der Kinderbetreuung. Familienpolitisch muss hier dringend nachgebessert werden. Wenn Eltern darauf angewiesen sind, dass Oma und Opa sich um die Kinder kümmern, entsteht ein bedenkliches Abhängigkeitsverhältnis.

Nicht in jeder Familie wohnen die Großeltern in der Nachbarschaft, nicht immer ist der Familienzusammenhalt so groß, dass die Eltern fest auf die dringend notwendige Unterstützung zählen können. Gleichzeitig kommt den Großeltern hier eine Rolle zu, die sie im Zweifel gar nicht ausfüllen können oder wollen. Beispielsweise wenn Oma und Opa selbst noch berufstätig sind, oder die Gesundheit es ihnen nicht erlaubt, die quirlige Enkelin zu betreuen. Andere möchten lieber ihren wohlverdienten Ruhestand genießen, anstelle ein zweites Berufsleben als Mini-Kita-Betreuer zu beginnen. Vor allem dann, wenn sie es eher als moralische Verpflichtung empfinden.

Selbstverständlich gibt es auch viele Großeltern, die gerne möglichst viel Zeit mit der Enkelin oder dem Enkel verbringen und Spaß daran haben, sich ausgiebig um den Nachwuchs zu kümmern. Das sorgt im Seniorenalltag für Abwechslung, hält jung und ermöglicht es, selbst Einfluss auf die Erziehung der Kinder zu nehmen.

Letzteres kann aber auch problematisch sein: Im Familiengefüge kommt den Großeltern eine andere Rolle zu, Mutter und Vater können sie nicht vollständig ersetzen. Wenn sie es trotzdem versuchen, können Reibereien zwischen den Beteiligten entstehen. Jeder hat seine eigene Vorstellung von guter Erziehung. Zudem droht einer der schönsten Aspekte der Kindheit verlorenzugehen: Der Besuch bei den Großeltern ist für viele Kinder etwas Besonderes. Hier werden sie nach Strich und Faden verwöhnt, dürfen Dinge tun, die zuhause eigentlich verboten sind. Diese Sonderrolle von Oma und Opa kommt abhanden, wenn die Großeltern tagtäglich die Betreuung übernehmen müssen.

Es muss sich deswegen einiges am gegenwärtigen Betreuungssystem in Deutschland ändern. Die Großeltern dürfen nicht länger zur letzten Rettung für Eltern werden, deren Alltag eine Vollzeiterziehung des Nachwuchses unmöglich macht. Unter anderem könnte ein schnellerer Ausbau von Kitaplätzen und Ganztagsschulangeboten hier für mehr Entlastung sorgen. Zwischen 2011 und 2021 wurden in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 7016 neue Kitas in Deutschland gebaut, gleichzeitig fehlte es nach einer von der „Welt am Sonntag“ zitierten Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft alleine im Jahr 2020 an rund 342.000 Kita-Plätzen.

Auch die Arbeitswelt muss noch familienfreundlicher werden, Eltern mehr flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit zum Homeoffice unproblematisch anbieten. Nur so können sich Mütter und Väter, die sich tagtäglich im Spannungsfeld zwischen Familienleben und Job bewegen, beiden Seiten wirklich gerecht werden. Eine konsequentere Aufstockung des Kindergeldes würde zudem für mehr Chancengleichheit und weitere Entlastung sorgen. Gerade vor dem Hintergrund aktueller Krisen und der damit einhergehenden Steigerung der Lebenshaltungskosten führt daran kein Weg vorbei. Besonders Familien mit geringem Einkommen brauchen diese finanzielle Sicherheit, um dem Nachwuchs eine möglichst sorgenfreie Kindheit zu ermöglichen.

Weiterlesen

Newsletter


Abonnieren Sie unseren vierteljährlich erscheinenden Newsletter, um über Neuigkeiten, Initiativen und Veranstaltungen zur Familienpolitik und zu Instrumenten zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erfahren.

Archiv

Mit dem Absenden des Formulars bestätige ich, dass ich die Bedingungen in den Privacy policy gelesen und akzeptiert habe.