So viel Teilzeit arbeiten Frauen wirklich

Renten von Frauen liegen viel tiefer als die der Männer. Kein Wunder, denn jede dritte hat keine feste Vollzeitanstellung.

Die Schweiz streitet um die Altersvorsorge. Eine geplante Erhöhung des Rentenalters für Frauen steht im Zentrum der Debatte. Linke und Gewerkschaften wehren sich dagegen. Denn die Frauen schauen bereits bei der Altersvorsorge in die Röhre: Aus der zweiten Säule beziehen sie im Durchschnitt nur halb so viel wie die Männer. Und zwar nicht nur, weil sie für den gleichen Job weniger Lohn erhalten. Sie arbeiten auch häufiger flexibel – als Selbständige, in Teilzeit oder auf Abruf. Doch was heisst häufiger? Eine neue Studie von Swissstaffing liefert die Zahlen. Der Verband der Personaldienstleister hat sie anhand von Statistiken des Bundes ermittelt. Das Ergebnis: In der Schweiz erzielen 26 Prozent der Erwerbstätigen ihr Einkommen in einem flexiblen Arbeitsverhältnis – 63 Prozent davon sind Frauen. Anders formuliert: Jede dritte erwerbstätige Frau in der Schweiz hat keine unbefristete Vollzeitstelle, sondern arbeitet als Flexworkerin.

Diese Arbeitsweise gibt ihnen Spielraum, etwa bei der Kinderbetreuung. Doch sie hat auch einen grossen Haken: «Die soziale Absicherung ist lausig», sagt Eveline Müller (62) aus Staufen AG. Die Buchhalterin ist Teilzeitangestellte bei zwei Arbeitgebern. Sie arbeitet jeweils 20 Prozent bei einem Optiker und einem Treuhänder. Bis vor zwei Jahren waren es sogar drei Jobs. «Ich hatte keine Wahl», sagt Müller. «Nach der Scheidung musste ich nehmen, was ich kriegen konnte.» Ihre Jobs bringen Müller keine grossen Summen ein – und praktisch nichts für die Pensionskasse. Gerade einmal 35 Franken pro Monat steuert die Anstellung beim Treuhänder für ihr Alterskapital bei. Und das Jahresgehalt beim Optiker liegt unter der gesetzlichen Schwelle von 24'885 Franken – von dort gibts überhaupt keine Vorsorgebeiträge. Die durchschnittliche BVG-Rente von Männern beträgt fast 3000 Franken – die von Frauen im Schnitt die Hälfte. Eveline Müller erwartet 500 Franken im Monat: «Es wäre deutlich mehr, wenn meine beiden Anstellungen für die Berechnung der Einzahlungen in die zweite Säule zusammengezählt würden.» Doch das werden sie nicht.

Weiterarbeiten – trotz Pension

Hinzu kommt: Weil die Buchhalterin während ihrer Ehe nur unregelmässig Erwerbsarbeit leistete, muss sie auch Abstriche bei der AHV machen. «Das ist bitter», sagt Müller. «Ich werde mindestens drei Jahre über die ordentliche Pensionierung hinaus arbeiten. Aus finanziellen Gründen geht es gar nicht anders.» Immer mehr Menschen verdienen ihr Geld mit Flexwork – die Mehrheit sind Frauen: Sie stellen acht von zehn Teilzeitarbeitenden mit einem Pensum zwischen 20 und 49 Prozent. In Pensen unter 20 Prozent stellen Frauen 73 Prozent, bei Mehrfachbeschäftigten wie Eveline Müller sind es 62 Prozent. «Viele von ihnen sind gegen elementare Lebensrisiken nicht abgesichert», sagt Ariane Baer (48), Projektleiterin Ökonomie und Politik bei Swissstaffing. «Das betrifft vor allem die Krankentaggeldversicherung und die Altersvorsorge. Deshalb ist besonders für Frauen die Gefahr der Altersarmut gross.» In solchen Fällen springt der Staat mit Ergänzungsleistungen ein. «Das ist sinnlos», sagt Baer. «Besser wäre es, für eine starke soziale Absicherung der Frauen im Erwerbsleben zu sorgen.»

Mehr als Hälfte nicht BVG-versichert

Sara Schwarz (38) arbeitet als selbständige Naturärztin mit eigener Praxis in Basel. Sie schätzt die unabhängige Arbeitsweise. «Ich bin meine eigene Chefin und mit Herzblut dabei.» Sie sagt aber auch: «Ich trage viel Unternehmerrisiko.» Wenn Schwarz krank wird oder einen Unfall hat, erhält sie erst nach zwei Monaten eine Entschädigung. Ferien bedeuten für sie doppelten Verlust: Die Geschäftsmiete läuft weiter, das Einkommen bleibt aus. Und wenn sie arbeitslos wird? «Dann kriege ich keinen Rappen. Ich muss für mich selber schauen.» 57 Prozent aller erwerbstätigen Frauen sind nicht BVG-versichert. Auch Sara Schwarz hat keine Pensionskasse. «Ich kann mich schon sozial absichern», sagt Schwarz. «Aber diese Versicherungen sind teuer.» Deshalb hat sie zwar eine Krankentaggeldversicherung, doch die greift erst nach 60 Tagen. «Eine kürzere Wartezeit wäre um einiges teurer», sagt Schwarz. Seit der Pandemie sind die Prämien zudem stark gestiegen. Einige Krankenkassen bieten solche Versicherungen überhaupt nicht mehr an.

Temporäre im Vorteil

Mehrere Berufskollegen von Sara Schwarz sind bereits im Pensionsalter – und arbeiten trotzdem weiter. «Sie haben aus finanziellen Gründen keine andere Wahl», sagt die Naturärztin. «Bis ich in dieses Alter komme, wird sich das Problem weiter verschärfen.» Ihre Situation etwas verbessern können die Flexworkerinnen, wenn sie sich von einem Personaldienstleister anstellen lassen. Ariane Baer von Swissstaffing: «Insbesondere Mehrfachbeschäftigte profitieren, weil sie unter dem Dach der Temporärarbeit ab der ersten Arbeitsstunde BVG-versichert sein können.» Noch wirkungsvoller wäre ein gesetzlich versicherter Jahreslohn ab 12'548 Franken, wie es die Reform BVG 21 vorsieht. Ob das allerdings reicht, um die Frauen von einer Erhöhung ihres Rentenalters zu überzeugen, bleibt abzuwarten. «Das hängt nicht zuletzt davon ab, ob die reformwilligen Kräfte im Parlament einen tragfähigen Kompromiss für die zweite Säule finden», sagt GLP-Nationalrätin Melanie Mettler (44). Der Ball liegt nun bei der Gesundheitskommission des Ständerats. Sie schlug im Frühjahr ein Modell vor, in dem alle Löhne zu 85 Prozent versichert wären – auch die der Teilzeitarbeitenden. Für Melanie Mettler ist klar: «Wenn die Kommission sich nicht bereit zeigt, den Reformstau zu lösen, tut sie das auch auf dem Buckel der weiblichen Flexworkerinnen.»

Weiterlesen - ein Beitrag von Danny Schlumpf erschienen am 26.02.2022 auf www.blick.ch

 

 

 

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