Fehlende Deutschkentnisse bei Kindern

Neu sollen auch Kinder von Schweizer Eltern zum Deutschkurs vor dem Kindergarteneintritt. Bildungsforscher sagen, warum die Sprachkompetenz leidet. Baselland plant Deutschkurse für Kinder im Vor-Kindergartenalter, die erstmals auch für Kinder mit Muttersprache Deutsch obligatorisch sein sollen, sofern sie Defizite haben. Auch der Bund arbeitet an dem Thema. Die eidgenössischen Räte haben 2019 den Bundesrat beauftragt, zu prüfen, wie sprachliche Frühförderung im ganzen Land umgesetzt werden kann. Die Schülerinnen und Schüler der Schweiz sind in den letzten Jahren in der Lesekompetenz schlechter geworden. Das zeigt unter anderem die Pisa-Studie. Bildungsexperten sagen, es werde zu wenig mit den Kindern geredet. Auch, weil die Eltern sehr beschäftigt sind.

Lea M. arbeitet als Klassenassistentin in einer Primarschule in Zürich, und sie berichtet: Auffallend viele Erst- und Zweitklässler hätten Probleme mit Deutsch. Etwa beim Satz «Heute esse ich Spaghetti.» Dann fragt die Lehrperson: «Und wenn ich es gestern gemacht habe, wie sagt man dann?» Dann stockten die Kinder, sagt Lea M., weil sie die Vergangenheitsform von «essen» nicht kannten. Doch nicht nur bei den Zeitformen hapert es, sondern auch beim Lesen. Das zeigt die jüngste Pisa-Studie aus dem Jahr 2019. Die Lesekompetenz der Schweizer Schülerinnen und Schüler ist aktuell auf dem tiefsten Stand seit Beginn der Erhebung im Jahr 2000. Bis 2012 hat die Schweiz bei der Lesekompetenz zugelegt, seither ist sie abgesackt auf einen vorläufigen Tiefststand im Jahr 2018. Von den 80 untersuchten Ländern ist die Schweizer Schülerschaft derzeit im Lesen auf Rang 28.

Deutschkurse auch für Deutsch-Muttersprachige

Baselland reagiert darauf, indem frühkindliche Sprachförderung erstmals auch für Kinder mit Deutsch als Muttersprache obligatorisch werden soll. Basel-Stadt war 2013 der erste Kanton, der frühe Sprachförderung obligatorisch machte, allerdings nur für Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund. Baselland ist nun Pionier beim Einbezug aller Kinder. Laut Bildungsexperten ist dies enorm wichtig. Es gehe weniger um Deutsch, sondern um Gesprächs- und Bildungskultur. Deshalb müsse sprachliche Frühförderung unbedingt alle erreichen, sagt Hansjakob Schneider, Professor für Deutschdidaktik an der Pädagogischen Hochschule in Zürich, im Gespräch mit 20 Minuten. Möglicherweise gibt es schon bald eine nationale Lösung. Denn die eidgenössischen Räte beauftragten den Bundesrat 2019, zu prüfen, wie die frühe Sprachförderung vor Eintritt in den Kindergarten im ganzen Land umgesetzt werden könne, mit Hilfe des Bundes. Christoph Eymann, früherer Bildungsdirektor in Basel, Präsident der Bildungsdirektorenkonferenz und Nationalrat, hatte die Motion eingereicht, die demnächst umgesetzt werden muss. Er sagt: «Wir haben gesehen, dass das Ziel, dass 95 Prozent der 25-Jährigen entweder eine Matura oder eine Berufslehre haben, nicht erreicht wird – und zwar sind die Gründe dafür hauptsächlich mangelnde Deutsch- oder Umgangssprachkompetenz.» Bis im Oktober hat der Bundesrat noch Zeit, um einen Bericht vorzulegen.

Hart arbeitende Familien

Aus seiner Zeit als Bildungsdirektor und vom Austausch mit Wissenschaftlern könne er sagen, dass der Grund für fehlende Sprachkompetenz im kommunikativen Umfeld in den ersten Lebensjahren liege, sagt Eymann. Beruflich stark beanspruchte Eltern sprechen weniger mit ihren Kindern, das sei früher in hart arbeitenden Bauernfamilien schon so gewesen. «Mit manchen Kindern wird zu wenig geschwätzt.» Auch habe er in seiner Zeit als Basler Erziehungsdirektor gesehen, dass eine beträchtliche Anzahl Kinder unbetreut zu Hause seien und beispielsweise fernsehen, während die Eltern arbeiten. Das bestätigt Franziska Peterhans, Zentralsekretärin des «Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz» (LCH). «Mit den Kindern zu sprechen oder ihnen eine Geschichte vorzulesen, fördert das Sprachverständnis», sagt Peterhans. Leider sei dies in letzter Zeit für einen Teil der Kinder etwas verloren gegangen, da viele Eltern zu beschäftigt seien. Sprachschwächen sind jedoch nicht nur vom sozialen Austausch abhängig. Wie Peterhans erklärt, sei Bewegung, vor allem in den ersten vier Lebensjahren, massgeblich an der Entwicklung des Gehirns und damit auch an der Sprachentwicklung beteiligt. «Wenn Kinder Dinge wie zum Beispiel einen Stein anfassen, begreifen sie, was dieser genau ist und können ihn so auch sprachlich besser anwenden.»

«Sache der Kantone»

Matthias Aebischer, SP-Nationalrat und Mitglied der Bildungskommission (WBK) setzt sich ebenfalls für frühe Sprachförderung ein. Der frühere Primarlehrer und Vater von fünf Kindern weiss aus eigener Erfahrung, warum Kinder ihre sprachlichen Fähigkeiten oft nicht optimal entwickeln können. «Viele Kinder werden bis zum Kindergartenalter von älteren Geschwistern betreut und erzogen, oder aber auch vom Fernseher.» Der Grund: Eltern müssen arbeiten und familienergänzende Kinderbetreuung ist teuer. «Wer jedoch beim Eintritt in den Kindergarten ein sprachliches Defizit hat, kann dieses in den darauffolgenden Jahren kaum noch aufholen», sagt Aebischer. Deshalb sei die Förderung im Vor-Kindergartenalter so wichtig. Und deshalb arbeite die Bildungskommission auch daran, ein flächendeckendes, günstiges Kita-Angebot in der ganzen Schweiz zu schaffen. Mitte-Nationalrat Philipp Kutter präsidiert die Subkommission, die sich aktuell mit der frühkindlichen Bildung beschäftigt. Er hält die Sprachförderung vor dem Kindergarteneintritt für wichtig, allerdings sei sie Sache der Kantone. Der Bund könne die Kantone jedoch dabei unterstützen, sagt Kutter.

Weiterlesen - ein Beitrag von Nicolas Meister und Claudia Blumer erschienen am 11.02.2022

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