Armee: Zwischen Kaserne und Kita: Amherd will die Armee mit einer Vereinbarkeitsoffensive attraktiver machen

Die Armee übernimmt Kitakosten, Väter erhalten nach der Geburt eines Kindes zwingend Urlaub. Verteidigungsministerin Viola Amherd trimmt die Armee auf Familienfreundlichkeit. Sie wolle der Entwicklung der Gesellschaft Rechnung tragen, sagt die Mitte-Bundesrätin.

Unter dem Radar der Öffentlichkeit vollzieht sich in der Schweizer Armee eine kleine Revolution: Das Militär wird familienfreundlich. So erhalten zum Beispiel Armeeangehörige, die ihre Kinder während eines Dienstes in einer Kita oder anderweitig fremdbetreuen lassen müssen, die zusätzlich anfallenden Kosten zurückerstattet. Das schreibt der Bundesrat in einer kürzlich publizierten Antwort auf einen Vorstoss von Nationalrätin Lilian Studer (EVP, AG). Entschädigt werden 67 Franken pro Diensttag, wie ein Armeesprecher auf Anfrage mitteilt. Reicht dieser Betrag nicht aus, springt unter Umständen der Sozialdienst der Armee in die Bresche.

Früher war das Vaterland wichtiger als der Vaterschaftsurlaub

Seit einem Jahr haben Männer neu explizit einen Anspruch darauf, ihren Dienst zu verschieben, wenn sie während der Militärpflicht Vater werden. Vorher wog die Verteidigung des Vaterlands stärker als der Vaterschaftsurlaub. Wer einen mehr als drei Wochen langen Ausbildungsdienst leistet, hat sodann ein verbindliches Anrecht auf zwei Wochen persönlichen Urlaub innerhalb der ersten sechs Monate ab Geburt des Kindes. Schon länger können Armeeangehörige einen Dienst verschieben, wenn zu dieser Zeit niemand anders als sie selber die Kleinkinder betreuen kann. Für wichtige, kurzfristige familiäre Aufgaben wie einen unvorhergesehenen Besuch beim Kinderarzt können Kompaniekommandanten Urlaub gewähren. Sie würden dies gemäss der geltenden Regelungen sowie «mit gesundem Menschenverstand» tun, hält ein Armeesprecher fest. Armeeangehörige sollen also quasi zwischen Kita und Kaserne pendeln: Der frische Wind hat viel mit Viola Amherd (Die Mitte) zu tun, die seit 2019 an der Spitze des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) steht. Ob Familienfreundlichkeit, Frauenförderung oder der Umgang mit nicht heterosexuellen Armeeangehörigen: Amherd will die Armee, einst Sinnbild der männerbündlerischen Schweiz, nicht nur mit neuen Kampfjets für den Luftkampf rüsten, sondern sie auch gesellschaftspolitisch modernisieren.

Armee rechnet mit mehr Paaren, die Dienst leisten

Zur Vereinbarkeitsoffensive sagt sie: «Wir wollen mit diesen Massnahmen der Entwicklung in der Gesellschaft Rechnung tragen.» Immer mehr Frauen seien gut ausgebildet, wollten berufstätig sein und gleichzeitig eine Familie haben. Umgekehrt suchten auch Männer nach Möglichkeiten, Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Amherd habe im Austausch mit Armeeangehörigen immer wieder den Wunsch wahrgenommen, die Dienstpflicht besser mit dem Berufs- und dem Familienleben vereinbaren zu können, sagt VBS-Sprecher Lorenz Frischknecht. Auch mit der Armeeführung sei das Thema mehrmals besprochen worden. Die Armee rechnet auch damit, dass es künftig mehr Paare geben wird, bei denen beide Elternteile Militärdienst leisten. Auch deshalb macht sich die Armee Gedanken zur Kinderbetreuung. Denkbar sind etwa alternative Dienstleistungsmodelle, die Armeeangehörigen mehr Flexibilität erlauben, oder Teilzeitarbeit für Berufsmilitär. Eigene Kitas in Kasernen, analog zur Privatwirtschaft, sind derzeit aber keine geplant.

Im Clinch mit Beruf und Studium

Wie viele Armeeangehörige mit Vereinbarkeitsproblemen konfrontiert sind, ist unklar. Frauen sind bei der Geburt des ersten Kindes im Durchschnitt 31-jährig, Männer etwas älter. Für Soldaten endet die Dienstpflicht mit dem 30. Altersjahr oder vier Jahre später, wenn sie einige Wiederholungskurse verschoben haben. Das Betreuungsproblem im Tenue grün: Das dürfte kein Massenphänomen sein. Gemäss einer Umfrage der Militärakademie an der ETH Zürich denken Kompaniekommandanten, dass nur 7 Prozent der Soldaten, die noch Wiederholungskurse absolvieren müssen, wegen Unvereinbarkeit mit der Familie zum Zivildienst wechseln. In der gleichen Studie stellte sich zudem heraus, dass die Kompaniekommandanten im Durchschnitt 31,5 Jahre alt sind und meistens noch keine Kinder haben. Die Kommandanten orten bei Beruf und Studium die grösseren Vereinbarkeitsprobleme als bei der Familie. Amherds Sprecher Frischknecht sagt, die Massnahmen zur Vereinbarkeit wie auch der Frauenförderung zielten nicht darauf ab, die Alimentierung der Armee sicherzustellen. Vielmehr verstünden sich das VBS und die Armee als moderne Arbeitgeber, die ihren Angestellten respektive Milizangehörigen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Dienstpflicht mit dem Privat- und Familienleben ermöglichten.

Weiterlesen - ein Beitrag von Kari Kälin erschienen am 10.12.2021 auf www.tagblatt.ch

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