Emanzipation der Frau – auf Kosten der Hausfrau?

Das Bundesgericht modernisiert die Unterhaltsregelung. Viele Familien leben aber ungewollt im traditionellen Modell. Das Bundesgericht hat entschieden: Nach einer Scheidung soll jede und jeder grundsätzlich für sich selbst sorgen. Umfassende Unterhaltszahlungen an die Ex-Partnerinnen und -Partner sollen die Ausnahme darstellen, etwa bei der Betreuung von Kleinkindern. Damit soll die Rechtsprechung vielfältigen Familienmodellen gerecht werden und dem Bild der modernen, berufstätigen Schweizerin entsprechen.

Frauen immer noch benachteiligt

Aber sind Schweizer Familien überhaupt so modern? Katja Rost, Soziologieprofessorin an der Universität Zürich, beobachtet, dass Frauen in der Schweiz kaum noch Vollzeit zu Hause bleiben. Von gleichberechtigter Erwerbsarbeit zu sprechen, wäre aber verfrüht. Denn Frauen würden vor allem 20 bis 40 Prozent Teilzeit arbeiten, so Rost. Dies, weil sie den gesellschaftlichen Druck spürten, eine gute Hausfrau und Mutter zu sein. Mit solchen Teilzeit-Pensen könne man aber nach wie vor keine Karriere machen, sagt die Soziologin. Darüber hinaus wird Care-Arbeit in den Haushalten weder bezahlt, noch gilt sie auf dem Arbeitsmarkt als relevante Berufserfahrung. Entsprechend schwierig gestaltet sich die Jobsuche nach der Scheidung, mancher Frau droht die Altersarmut. In solchen Situationen hat die bisherige Praxis der Unterhaltszahlungen die Frauen geschützt.

Verbände unterstützen den Entscheid

Die ökonomische Abhängigkeit vom Ehemann ist folglich für viele Frauen auch heute noch Realität. Das Leiturteil des Bundesgerichts setzt diese Frauen künftig zusätzlich unter Druck. Trotzdem begrüssen der Frauendachverband Alliance F wie auch der Männerdachverband männer.ch den Entscheid. Das Problem liege nicht beim zeitgemässen Entscheid des Bundesgerichts, sondern bei den veralteten Rahmenbedingungen. Momentan hätten viele Familien am Monatsende weniger auf dem Konto, wenn beide voll arbeiteten. Da sei klar, dass eine Person zu Hause bleibe. Meist sei es die Frau. Diese Unstimmigkeiten gelte es zu beheben. Sophie Achermann, Geschäftsführerin von Alliance F, hat drei Forderungen an die Politik: Ausbau der familienexternen Kinderbetreuung, Elternzeit zu gleichen Teilen und Einführung der Individualbesteuerung.

Zeitgeist wandelt sich

Das klassische Ernährer-Modell habe eindeutige Nachteile, sagt Markus Theunert von männer.ch: «Väter drohen zu Zahlvätern zu werden, wenn es zu Trennung und Scheidung kommt, Frauen droht Altersarmut und Versorgungslücke.» Viele Familien wünschen sich deswegen eine gleichere Verteilung von Erwerbs- und Care-Arbeit. Elf Prozent aller Frauen und 18 Prozent aller Mütter wollen mehr arbeiten. Es gebe aber nicht einfach das Interesse aller Frauen. «Wir haben eine starke Stadt-Land-Kluft, da traditionelle Geschlechternormen auf dem Land noch viel tiefer verankert sind als in der Stadt», sagt Katja Rost. Auch der Bildungsstand sei entscheidend: «In der gebildeten Schicht wird Partizipation mehr gelebt und den Frauen und Männern ermöglicht, mit dem Zeitgeist zu gehen.» Zeitgeist und Lebensrealität vieler Frauen gehen folglich weit auseinander. In diesem Spannungsfeld hat das Bundesgericht ein Signal an die Politik gesendet: Das Ernährer-Modell hat ausgesorgt. Frauen, die sich zurzeit scheiden lassen, nütze das aber wenig, meint Rost: «Rückwirkend für diese Gruppe ist das ein dramatisches Urteil, weil sie sich nicht unter diesem Zeitgeist entschieden haben, Hausfrau zu sein.»

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