Arbeiten in Zukunft: Wenn das Hotel zum Homeoffice wird

Vor allem digitale Nomaden haben bisher von irgendwo gearbeitet. In der Krise testen das nun auch andere. Arbeiten wir in Zukunft von überall?

«Vor einem Jahr war ich gegenüber Homeoffice eher skeptisch», erinnert sich Jann Schwarz. Inzwischen steht der 53-jährige Unternehmer an einem anderen Punkt. Er sieht nicht nur Vorteile am Homeoffice, sondern hat sein Büro sogar temporär von Rorschach im Kanton St. Gallen ins Hotel Saratz in Pontresina verlegt. Ende Dezember hat er sich entschieden, seine kleine Firma, die Baudienstleistungen wie Projektleitungen anbietet, vom Engadin aus zu leiten.

Hotels werben um Arbeitstouristen

Von irgendwo zu arbeiten, das war bisher vor allem ein Ding der sogenannten digitalen Nomaden. Ihre Bilder konnten einen teils fast etwas neidisch machen. Auf Social Media zeigten sie sich mit ihren Laptops vor atemberaubenden Sandstränden oder Bergkulissen. Mit Corona erhält dieses Arbeitsmodell breiteren Aufschwung. Dass solche Modelle Zukunft haben könnten, haben auch Hotels wie das Saratz in Pontresina gemerkt. Es ist bei weitem nicht das einzige Hotel, das seine Zimmer und Seminarräume inzwischen auch als Büro vermietet. Gleich in mehreren Tourismusgebieten ist zu beobachten, dass diese nun auch auf Arbeitstouristen wie Jann Schwarz setzen.

Krise als Chance, neue Arbeitsformen auszuprobieren

Jann Schwarz ist für mehrere Wochen im Vier-Sterne-Hotel Saratz. Sein Ziel: Ein neues Arbeitsmodell testen, neue Führungsqualitäten entwickeln und eine bessere Work-Life-Balance. «Eigentlich mag ich all diese Trendwörter wie Entschleunigung oder Work-Life-Balance nicht, aber mir ist die Auseinandersetzung mit neuen Arbeitsformen wichtig – gerade jetzt, wo sich die Arbeitswelt mit Corona so radikal verändert.»

Er arbeite nicht weniger, seit er in Pontresina sei – im Gegenteil. Er sei aber ausgeglichener und entspannter. «Ich teile mir einfach die Arbeit anders ein.» Er nimmt sich zum Beispiel für eine Skitour frei, wenn es Neuschnee hat oder sonnig ist, oder er macht eine ausgedehnte Mittagspause, um langlaufen zu gehen. Dafür arbeite er dann bis spät nachts.

Die bessere Work-Life-Balance mache ihn zu einem besseren Chef, glaubt Jann Schwarz. Zudem sei er gezwungen, seinen Angestellten besser zu vertrauen. «Ich habe Dinge gerne unter Kontrolle», gibt der 53-Jährige zu. «Nun lerne ich, meinen Angestellten mehr Freiraum zu geben.» Wenn etwas nicht funktioniere, könne er nicht kurz auf die Baustelle und nach dem Rechten sehen.

«Guten Fachkräften muss man etwas bieten»

Was Jann Schwarz ausprobiert, ist bei der Aargauer Firma Procloud seit mehreren Jahren Normalität. Angestellte des jungen IT-Unternehmens dürfen bis zu vier Wochen im Jahr arbeiten, wo sie wollen. Bedingung: Sie müssen den Aufenthalt selbst bezahlen und brauchen vor Ort stabiles Internet.

Die Vorlieben seien unterschiedlich. Die einen arbeiteten lieber eine Zeit lang in Südostasien, die anderen lieber in den Schweizer Bergen, erzählt Procloud-Mitgründer Stephan Mahler. «Teilweise kommt uns die Zeitverschiebung sogar entgegen, weil wir Wartungen durchführen können, ohne dass es unsere Kunden in ihrem Alltag beeinträchtigt», sagt der Aargauer.

Stephan Mahler hatte die Idee, weil er früher selbst viel im Ausland war und weil er es für ein gutes Marketinginstrument hielt. «Im IT-Business sind gute Fachkräfte rar, da muss man etwas bieten», so Mahler. Inzwischen gehe es aber um weit mehr als das. «Ich erlebe unsere Mitarbeiter entspannter, motivierter und inspirierter.» Das färbe dann auch auf das Team ab.

Keine Basis für Teamgeist und Firmenkultur

Obwohl Stephan Mahler viele Vorteile sieht und wie Jann Schwarz auch festgestellt hat, dass die Produktivität, wie oft befürchtet, während dieser vier Wochen nicht sinkt, will er das Programm nicht massiv ausbauen. «Der Mensch ist ein Herdentier, ich bin überzeugt, dass wir soziale Interaktionen brauchen – auch solche, die nicht über Online-Tools laufen.»

Dass flexible Arbeitsmodelle Grenzen haben, weil wir soziale Interaktionen brauchen, davon ist auch Annina Coradi überzeugt. Sie beschäftigt sich mit flexiblen Arbeitsmodellen und deren Auswirkung auf die Innovation, hat dazu an der ETH doktoriert und hat inzwischen in diesem Bereich ein eigenes Beratungsunternehmen. «Flexible Arbeitsmodelle erleben einen massiven Aufschwung wegen Corona», so Coradi.

«Hybride Formen sind die Zukunft»

Trotzdem glaubt sie aber nicht daran, dass in Zukunft nur noch von irgendwo gearbeitet wird. «Firmen werden immer ein Büro brauchen.» Die Frage sei, was dort passiere. In Zukunft werde selbstverständlicher und umfänglicher virtuell gearbeitet, dafür würden sich Mitarbeitende gezielter im Büro treffen – zum Beispiel zu einem Workshop, zu einem Meeting oder bei der Lancierung eines neuen Projekts.

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