Das rät die Expertin fürs Homeoffice in dieser «Ausnahmesituation»

Der Bundesrat schickte die Schweiz am Montag ins Homeoffice. Die Teleheimarbeit bietet Chancen, birgt aber auch Risiken. Arbeitspsychologin Michaela Knecht sagt, wie das erzwungene Dauer-Homeoffice gelingt.

Seit Montag sind über zwei Millionen Erwerbstätige ins Homeoffice verbannt. Die aktuellste Covid-19-Verordnung des Bundesrats schreibt Teleheimarbeit «wo möglich und mit verhältnismässigem Aufwand umsetzbar» vor. Im trauten Heim zu arbeiten, ist für Gewisse Usus. Das Gros der Gruppe, die nun zu Homeoffice gezwungen wird, tut dies normalerweise nur halbtage- oder tageweise. Gemäss Schweizerischer Arbeitskräfteerhebung des Bundesamts für Statistik arbeitete 2019 fast jeder vierte Erwerbstätige gelegentlich zu Hause. Gelegentlich bedeutete dabei mindestens einmal pro Monat. Das war vor der Pandemie. Dieser Anteil, der seit der Jahrtausendwende per se schon stetig anstieg, dürfte durch die Lehren des ersten Lockdowns zusätzlich beschleunigt werden. Und trotzdem: Das gesamte Pensum von heute auf morgen im Homeoffice zu verbringen, ist für die Mehrheit ungewohnt – und birgt Risiken.

Problem: Entgrenzung der Arbeit

«Homeoffice birgt die Gefahr von sozialer Isolation, weil der Kontakt mit den Kollegen reduziert wird und beispielsweise das gemeinsame Mittagessen und die gemeinsame Kaffeepause wegfallen», sagt Michaela Knecht. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Angewandte Psychologie der Fachhochschule Nordwestschweiz und Mitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Arbeits- und Organisationspsychologie. Weil soziale Isolation eine Gefahr für unsere Gesundheit birgt, sei es wichtig, im Homeoffice auch bewusst Zeit für informellen Austausch einzubauen. «Beispielsweise virtuelle Kaffeepausen in sehr kleiner Runde, aber auch zu Beginn oder am Schluss von Sitzungen in grösserer Runde.»

Online-Kommunikation via Zoom könne die direkte Kommunikation in vielen Bereichen gut ersetzen. «Bei Online-Kommunikation steigt aber die Gefahr von Missverständnissen.» Es lohne sich, sich bewusst Zeit zu nehmen, um die Zusammenarbeit in dieser neuen Form zu reflektieren. «Es ist wichtig, Probleme in der aktuellen Situation anzusprechen. Dafür braucht es ein gutes Teamklima und Zeit», sagt Knecht, die die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben erforscht. Im Homeoffice bestehe die Gefahr der Entgrenzung der Arbeit, also dass man zu lange arbeitet und es nicht gelingt, Feierabend zu machen und abzuschalten. «Da hilft es, bewusst einen Übergang von der Arbeit ins Privatleben zu gestalten. Das kann durch definierte Zeiten, bewusste Kleidungswechsel oder kleine Rituale wie einen Spaziergang passieren.» Kurzum: Nehmen Sie sich Zeit, um über Ihre virtuelle Zusammenarbeit zu sprechen. So können Missverständnisse reduziert und Erwartungen an die Erreichbarkeit geklärt werden. Zudem sei es auch wichtig, während des Arbeitstags Strukturen zu schaffen mit einer klar abgegrenzten Mittagspause und bewussten Pausen über den Tag. «Das geht im Homeoffice oft vergessen.»

Nebst den Risiken biete die Teleheimarbeit aber auch grosse Chancen. «Das Homeoffice bietet grössere zeitliche Flexibilität, weil der oftmals anstrengende Pendelweg entfällt», erläutert Knecht. «Die gewonnenen zeitlichen Freiheiten sollte man bewusst nutzen.»

Die Ausnahmesituation verstärkt die Risiken

Möglichkeiten dazu sind: Später in den Tag starten und vorher noch Sport machen oder früher Feierabend machen, um so am Abend noch mehr Freizeit zu geniessen. Erwerbstätige sollten die Autonomie bewusst ausnutzen und ihre Arbeitszeiten im Rahmen der Möglichkeiten an ihre eigenen Vorlieben anpassen. Die Arbeit im Homeoffice und die damit verbundene grössere zeitliche Flexibilität könne auch die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben erleichtern. Homeoffice biete für viele Menschen mehr Raum, um in Ruhe zu arbeiten. Unterbrechungen durch Anfragen von Kollegen fallen weg. «Diese Ruhe kann helfen, um fokussiert an Themen zu arbeiten. Falls zu viele digitale Nachrichten ablenken, ist eine mögliche Strategie, die E-Mails bewusst nur einmal pro Stunde zu checken.» Schliesslich gibt Knecht – selber aktuell im Homeoffice – zu bedenken, dass wir uns der aktuellen Ausnahmesituation bewusst sein sollten. «Bei erzwungenem Dauer-Homeoffice sind die Risiken stärker ausgeprägt als bei ein bis zwei Tagen Homeoffice pro Woche, wo die Chancen stärker zum Tragen kommen.»

Erschwerend komme in der aktuellen Pandemie-Situation hinzu, dass viele Menschen nicht mehr ihren gewohnten Freizeittätigkeiten nachgehen, die ihnen sonst guttun. Auch die Kontakte in der Freizeit sind eingeschränkt. «Wir müssen davon ausgehen, dass viele Menschen momentan generell weniger positive Erlebnisse und vielleicht nicht mehr so viele Ressourcen haben, um mit Schwierigkeiten umzugehen.» Die Expertin rät zu Gelassenheit und Grosszügigkeit mit sich und anderen, wenn es beispielsweise mal zu Abstimmungsproblemen kommt. «Wir sind alle in einer nicht gewählten Ausnahmesituation.» Aus einer Studie ihres Teams wisse sie, dass Homeoffice besonders gut funktioniert, wenn es allgemein schon gut laufe bei der Arbeit. «Wenn hingegen bei jemandem schon vor der Homeoffice-Phase Probleme vorhanden sind, dann besteht die Gefahr, dass diese durch das Homeoffice nochmals verstärkt werden.» Hier seien neben jedem einzelnen auch Führungskräfte in der Pflicht, gut mit dem Mitarbeitenden in Kontakt zu bleiben und wahrgenommene Probleme rechtzeitig anzusprechen. Zusammenfassend plädiert Knecht dafür, die Freiheiten bewusst zu nutzen, die Erwerbstätige durch die Situation erhalten. Beispiele seien eine längere Mittagspause im Freien oder mehr bewusste Familienzeit zu Zeiten, an denen man sonst gar nicht daheim ist.

Weiterlesen - Ein Beitrag vom Philipp Kobel erschienen am 24.01.2021 auf www.nau.ch

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